Spiel des Jahres 1997: MISSISSIPPI QUEEN von Werner Hodel
Es war sicherlich eine der am meisten kritisierten Entscheidungen der Jury Spiel des Jahres. Als die Kritiker im Jahre 1997 MISSISSIPPI QUEEN von Werner Hodel, erschienen im Goldsieber-Verlag, auszeichneten, gab es vor allem in der Spieleszene große Proteste. Dies lag nicht etwa daran, dass die Wahl auf ein schlechtes Spiel gefallen war, sondern dass die Erwartungshaltung damals eine völlig andere war. Nach zwei anspruchsvolleren Spielen des Jahres hatte die Jury das Ruder herumgerissen und ein familientaugliches Wettlaufspiel gekürt.
Das Spiel
Dieses Wettrennen ist ein echtes Abenteuer: Mit Raddampfern schippern drei bis fünf Spieler den Flusslauf des Mississippi hinab. Nur wissen sie nie genau, wie der Strom hinter der nächsten Biegung aussehen wird: Liegen Inseln in der Fahrrinne oder gleich die nächste Flussschleife? Wer hier zu viele Kohlen verfeuert, kann in Probleme kommen. Außerdem müssen zwischendurch an Bootshäusern auch noch Passagiere aufgenommen werden, so dass eine Dauerfahrt unter Volldampf ausgeschlossen ist. Taktisch kluges Steuern und Beschleunigen bringt bei MISSISSIPPI QUEEN den Sieg.
Jeder Spieler hat einen kleinen Raddampfer mit zwei Schaufelrädern – eines zeigt die aktuelle Geschwindigkeit, das andere gibt den Kohlevorrat an. In jedem Zug kann man die Geschwindigkeit um einen Punkt steigern oder reduzieren, zudem kann das Schiff um 60 Grad gedreht werden. Wer weiter drehen oder regulieren will, muss Kohle abgeben. Wer keine mehr hat, scheidet aus. Erst, wenn ein Schiff ein neues Spielplanelement erreicht, wird ein weiteres angelegt. Dafür gibt es immer drei Anlegemöglichkeiten, so dass der Fluß in jeder Partie einen anderen Verlauf nimmt.
Die Wahl 1997
Rückblickend kann man getrost sagen, dass 1997 ein herausragender Spielejahrgang war. Dies zeigt sich allein daran, dass fast alle ausgezeichneten Spiele jetzt noch erhältlich sind. Und allein deshalb waren wohl schon die Meinungen geteilt. Unter den Brettspielen waren mit EXPEDITION und SHOW-MANAGER (später als ATLANTIC STAR erneut ausgezeichnet) zwei weitere familientaugliche Brettspiele auf der Auswahlliste.
Dazu kam das wunderbare Tempobauspiel VISIONARY von Schmidt-Spiele, das leider viel zu kurz am Markt war, sowie der Überraschungskandidat DIMENTICATO von Dr. F. Hein-Spiele, mit dem die Jury wieder einmal einen Kleinstverlag ins Blickfeld des Handels und der Spieler rückte. Zudem war 1997 das Jahr der Kartenspiele. Zwei Jahre nach DIE SIEDLER VON CATAN war nun das SIEDLER-KARTENSPIEL (Kosmos) erschienen, das mittlerweile zahllose weitere Ausbausätze bekommen hat. Dazu erhöhte sich durch MANITOU (Goldsieber), COMEBACK (Staupe-Spiele) und BOHNANZA (Amigo) die Zahl der Kartenspiele auf der Auswahlliste auf vier. Insbesondere Uwe Rosenbergs Klassiker BOHNANZA und Klaus Teubers SIEDLER-KARTENSPIEL waren von vielen Spielern als Kandidat für das erste Kartenspiel als Titelträger angesehen worden. Und dann gab es ja noch LÖWENHERZ (Goldsieber). Dieses anspruchsvolle Spiel um Burgen und Rittergüter war der klare Favorit der Spielefans.
Die Gründe
Nach zwei Jahren mit anspruchsvolleren Titelträgern wollte die Jury den eigenen Ansprüchen als Familienspielepreis gerecht werden. Bereits mit den SIEDLERN war die Jury 1995 ein von verschiedenen Seiten kritisiertes Wagnis eingegangen, das sich angesichts der hervorragenden Spielregel und des wunderbaren Spielflusses allerdings als keines herausstellte. 1996 wurde dann mit EL GRANDE das bislang wohl komplexeste Spiel des Jahres gewählt. Die Messlatte in Sachen Anspruch lag also sehr hoch. Für die Fans gab es da nur eine logische Fortsetzung: LÖWENHERZ. Doch die Jury zog die Bremse und griff zu MISSISSIPPI QUEEN. „Richtiger Verlag, falsches Spiel“, lautete die Rückmeldung der Enttäuschten.
Die Geschichte
Bevor MISSISSIPPI QUEEN Spiel des Jahres 1997 wurde, hatte es bereits zuvor auf sich aufmerksam gemacht: Beim Spieleautorenwettbewerb des Hippodice Spieleclubs in Bochum wurde es ein Jahr zuvor Dritter. Bei dieser auch von der Jury finanziell unterstützten Veranstaltung hatte Autor Werner Hodel sein damals noch RAFTING heißendes Spiel eingereicht. Die Jury besteht weitgehend aus Spiele-Redakteuren, und so ließ sich das für Goldsieber arbeitende TM-Team das Spiel zuschicken.
„Das war ein Jahr intensiver Arbeit“, berichtet Fritz Gruber von TM, wie man aus dem Sportthema zum historisch ansprechenden, unberechenbaren Missisippi fand. Wie man aus dem harten Wettrennen, in dem sich die Flöße gegenseitig rammten, ein leichtgängigeres Familienspiel machte, das man durch die Einführung der mitzunehmenden Passagiere weiter einbremste.
Aber auch bei TM hatte man bei der Wahl zum Spiel des Jahres auf das ebenfalls im eigenen Verlag erschienene LÖWENHERZ gesetzt. „Wir waren doch sehr verblüfft“, gibt Gruber zu, „aber der schlechte Ruf von MISSISSIPPI QUEEN ist ungerechtfertigt. In der Spieleszene herrschte halt eine Riesenbegeisterung, dass sich etwas im Anspruch tat.“ Zeitgleich hatten die Verlage auf der Suche nach familientauglichen Spielen Probleme, die Auswahl wurde immer geringer. „Wir haben die Autoren ermuntert, einfachere Spiele zu machen. Taten die aber nicht. Bei komplexeren Spielen kannst Du Originalitätsschwächen auch einfacher übertünchen“, sagt Gruber.
Für TM endete 1997 auf der Nürnberger Spielwarenmesse die Zusammenarbeit mit Goldsieber, das Team um Autor Klaus Teuber und Redakteur Reiner Müller wechselte komplett zu Kosmos. Binnen drei Jahren hatte man zuvor eine komplett neue Spielelinie für Goldsieber aus dem Boden gestampft. „Die Auszeichnung war nach all der Aufbauarbeit doch ein idealer Abschluss“, sagt Gruber heute.
Fritz Gruber und seine Kollegen von der Redaktion von TM-Spiele machten aus RAFTING das Spiel des Jahres 1997, MISSISSIPPI QUEEN.
Der Verlag
Im Juni 1997 klingelte im Wartesaal auf dem Flughafen in Hongkong das Mobiltelefon von Oswald Hertlein. Dem Geschäftsführer von Goldsieber blieb erst einmal die Spucke weg: Ein Produzent übermittelte ihm die Nachricht, das MISSISSIPPI QUEEN das Spiel des Jahres ist. „Das war der absolute Boom, wir sind mit Aufträgen zugeschüttet worden“, erinnert er sich heute. Es war die Krönung eines rasanten Neueinstiegs: Binnen drei Jahren hatte Goldsieber eine neue Spielelinie mit 24 Titeln produziert, die der Gesamtkonzern Simba Toys aus Fürth vorher nicht hatte. Allerdings hielt der Höhenflug nicht lange an: „Unsere Spiele fristen heute eher ein Schattendasein“, gibt Hertlein zu. Die Spiele in der großen Schachtel werden nicht mehr produziert. „Die waren zu komplex, Goldsieber gehört in den Familienspielebereich“, sagte der Geschäftsführer.
2001 übernahm der Simba-Konzern den Verlag und Hersteller Noris. „Wir dachten damals zwei, drei Jahre lang, wir können jetzt alles selbst produzieren“, erinnert sich Hertlein. Die Material-Qualität der Spiele war allerdings sehr mäßig. Heute lässt Goldsieber Spielpläne wieder bei Ludofakt produzieren und konfektioniert nur noch selbst. „Wir wollen wieder einen Schritt nach oben machen – mit guten Spielen“, kündigt Hertlein für die Zukunft an.
Von 1997 bis 2002 übernahm Joe Nikisch, Inhaber von Abacusspiele, die redaktionellen Aufgaben für Goldsieber. Nikisch verantwortete redaktionell die MISSISSIPPI QUEEN-Erweiterung THE BLACK ROSE, die 1998 auf den Markt kam. „Das muss man machen, um ein Spiel am Leben zu erhalten“, sagt Nikisch. „Den Endkunden interessierte das Theater in der Spieleszene überhaupt nicht. Die enttäuschten Erwartungen bekam MISSISSIPPI QUEEN aber dennoch zu spüren. Denn ein Spiel mit einem solchen Nimbus geht nun mal unter.“ Nikisch spielt damit darauf an, dass sich ein erfolgreiches Spiel nicht nur durch Werbung oder die Auszeichnung allein weiter verkauft. Sondern auch dadurch, dass begeisterte Spieler sich gegenseitig die Regeln erklären und es immer wieder spielen. Das ungeliebte MISSISSIPPI QUEEN wurde allerdings geschnitten – und verschwand ab 1999 sehr schnell von der Bildfläche. Im ersten Jahr wurden noch 350.000 Exemplare verkauft, danach pendelte sich der Absatz bei etwa 20.000 jährlich ein. Seit 2003 ist es aus dem Programm.
Joe Nikisch übernahm nach TM die Spiele-Redaktion für Goldsieber und verantwortete 1998 die Erweiterung zu MISSISSIPPI QUEEN mit dem Namen THE BLACK ROSE.
Der Autor
Für Werner Hodel aus Crailsheim war es das erste Spiel bei einem großen Verlag – und gleich gab es die begehrte Auszeichnung Spiel des Jahres. „Es war schon toll, eine Schachtel mit dem eigenen Namen darauf in Händen zu halten“, erinnert sich der Oberstudienrat. Er hatte bereits 1994 Spiele im Eigenverlag herausgebracht. Wer jetzt allerdings denkt, der Erfolg mit MISSISSIPPI QUEEN sei der Durchbruch von Werner Hodel als Spieleautor gewesen, täuscht sich. „Bis heute ist nichts passiert. Ich habe zwar eine Handvoll guter Spiele, aber es gibt keine Interessenten“, ist der nun 54-Jährige doch ein wenig enttäuscht. Aber nicht zu sehr, Werner Hodel hat auch andere Interessen: „Spiele sind nicht mein zentraler Lebensinhalt.“ Vielmehr segelt er mit der eigenen Yacht durchs Mittelmeer oder die Ostsee. Aber zur Spielemesse nach Essen kommt er immer noch jedes Jahr.
Stefan Ducksch (Januar 2007)