Wer in einer fremden Stadt U-Bahn fährt, kennt dieses Gefühl von Verlorenheit: Man steht in irgendeiner Station, fährt mit dem Finger bunte Linien nach und versucht, sich durch den Untergrund irgendwie zur nächsten Touristenattraktion zu manövrieren. Da wäre es doch viel einfacher, wenn man, sagen wir, ein eigenes U-Bahn-Netz entwerfen könnte. „Next Station London“ (Matthew Dunstan bei HCM Kinzel) ist eine gute Probefahrt für die eigenen stadtplanerischen Fähigkeiten. Unsere Jurymitglieder sind in ihren jeweiligen Medien eingestiegen.
„‚Next Station London‘ gehört zu den sogenannten Flip-and-Write-Spielen, das heißt, es wird eine Karte umgedreht (flip) und dann zeichnen (write) alle etwas auf ihrem Spielplan ein“, erklärt Stephan Kessler das Spiel. „Recht abstrakt befinden sich Symbole auf den Karten, die vorgeben, welche Stationen miteinander verbunden werden dürfen. Wird ein Quadrat umgedreht, dann verbinde ich die Anfangs- oder Endstation meiner Linie mit einem Quadrat. Wenn fünf pinke Symbolkarten aufgedeckt wurden, ist eine Linie vollständig“. Dafür kassiere man Punkte. Je mehr Stationen und Regionen angefahren wurden, desto besser. Passiert man die Themse oder kommt an einer Sehenswürdigkeit vorbei, schreitet die Punktesumme zusätzlich voran. Dann reicht man den farbigen Stift weiter und wiederholt dieses Vorgehen bis nach vier Runden London mit neuen U-Bahnen ausgestattet ist.“
In Kesslers Runden, schreibt er, hätte sich das Spiel „nach und nach zum Geheimtipp“ entwickelt. „Es blieb kaum bei nur einer Partie, da die Aufgabe herausfordernd, aber eingängig ist.“ Auch die Lernkurve gefällt ihm: „Mit der Zeit lernt man das Risiko des Kartendecks einzuschätzen. Anders als beim Würfelwurf kann ich zum Beispiel sicher sein, dass das Quadrat noch kommen wird. Die Frage ist nur wann.“ Man könnte taktisch geschickt versuchen, bestimmte Stationen anzusteuern – wenn dann aber die passende Karte nicht kommt, müsste man „schmerzlich erfahren, dass man sich buchstäblich in die Sackgasse gefahren hat.“ Stephan Kessler gefällt, dass es im Spiel „extrem wenig Wartezeit“ gebe und man immer beschäftigt sei, was allerdings bedeute, dass beim Spielen keinerlei Interaktion entsteht. Abzüge vergibt er in der B-Note: „Die Anleitung als Faltheftchen ist unübersichtlich gestaltet und hätte einen besseren Aufbau mit mehr Beispielen verdient gehabt.“¹
Auch mit Nico Wagner unterhält sich Kessler über „Next Station London“. Dort bekräftigt er noch einmal: „Es ist sehr herausfordernd, was man da macht, denn ich muss ein bisschen Risikomanagement betreiben. Je mehr ich es gespielt habe, desto mehr habe ich es gemocht“, sagt Kessler.
Wagner meint, dass ihm das Spiel am Anfang zwar gefallen habe, „aber da war es noch am unteren Rand von ‚gefallen‘“. Mittlerweile habe er es öfter spielen können, „und es hat sich bei mir gemausert, weil du nach und nach erkennst, worauf man tatsächlich achten kann.“ So offensichtlich, wie er am Anfang dachte, seien die Entscheidungen nicht. „Wenn du passen musst, weil du Sackgassen gebaut hast, dann merkst du: Ich sollte auf solche Sachen achten und nicht nur die Rundenziele erfüllen.“ Auch die beiliegenden Sonderwertungskarten gefallen ihm. „Mir macht das mittlerweile echt Spaß.“²
„Leichtgängig und nicht banal“ sei „Next Station London“, findet Stefan Gohlisch. Außerdem sei es „schnell erklärt und schwer gemeistert. Für ihn ein „tolles ‚Flip and Write‘-Spiel. Hübsch sieht es auch aus.“ Gohlisch wünscht sich eine Ausgabe für seinen Wohnort Hannover.³
Bernhard Löhlein kommen die Symbole auf den aufgedeckten Karte nicht immer gelegen. Vor allem „gegen Ende wird das ganz schön eng mit dem Schienennetz“. Löhlein findet, dass „Next Station London“ ein sehr solitäres Spiel sei. „Eigentlich spiele ich es für mich allein und vergleiche nur am Ende das Ergebnis mit den anderen“, sagt er. „Trotzdem packt mich das vom ersten Strich an. Bin immer am Knobeln, es muss doch einen Weg aus der Sackgasse geben.“ Für ihn gibt es „keine Bahnfahrt mehr ohne“.⁴
Für Harald Schrapers ist trotz Zufallselement „reichlich Planbarkeit gegeben, weil man immer im Blick hat, welche Symbole mit Sicherheit noch kommen werden“. Dennoch würden die Baumöglichkeiten „im Laufe des Spiels immer eingeschränkter, weil bereits belegte Trassen nicht mehr gequert werden dürfen“. Die Punkteberechnung und die Spielregeln seien ziemlich einfach durchzuführen. „Umso größer ist die Herausforderung, die Netzplanung wirklich erfolgreich zu Papier zu bringen.“ Insagesamt findet er: „‚Next Station London‘ ist ein spannendes Spiel, das thematisch dadurch gefällt, dass man oft ein recht real aussehendes Nahverkehrsnetz schafft.“⁵
Julia Zerlik hat aufgrund der starken Glückskomponente Schwierigkeiten mit der Lernkurve. „Es kann vorkommen, dass es Züge gibt, bei denen man nichts einzeichnen kann. Das ist ärgerlich, gehört aber dazu“, sagt sie. „Ich kann nicht behaupten, dass ich mich deutlich verbessert habe von Partie zu Partie.“ Der Lerneffekt über die Runden sei „minimal“. Eine Strategie könne man kaum verfolgen. „Man muss sich immer an die aktuelle Situation anpassen.“ So sei das Spiel immer wieder eine Herausforderung. Ihr gefalle „Next Station London“ gut, denn es fühle sich rund an und sei sehr gut durchdacht.⁶
Udo Bartsch findet: „Das Wertungsprinzip ist zunächst nicht sehr eingängig, was sicherlich auch daran liegt, dass man sich beim Malen unbewusst an der Streckenführung realer Liniennetze orientiert und viele verschiedene Punkte der Stadt anbinden möchte. Mit dieser Strategie fährt man in ‚Next Station London‘ aber nicht so gut. Mit einer konkreteren Idee, was gut sein könnte, werden die Abwägungen spannender.“ Zwar funktioniere das Solospiel genauso wie das Spiel zu mehreren, schreibt er. „Mehr Spaß macht es, gegen andere statt gegen den eigenen Highscore anzutreten, zumal die Punktestände verschiedener Partien nur halbwegs miteinander vergleichbar sind. Die zufällige Länge der Durchgänge macht einen großen Unterschied.“ Entscheidungen und Züge gäbe es in „Next Station London“ zwar nur wenige, dafür seien es aber, trotz starkem Zufallselement, „relevante Entscheidungen. Oder zumindest relevante Spekulationen“, schreibt er. „Und der Ausgang von Spekulationen ist nun mal spannend: Klappt es wie erhofft oder kommt ausgerechnet die eine Karte, die es nicht sein darf?“ Für Bartsch ist gerade das Spielprinzip mit den vier unterschiedlichen Farben reizvoll. „Einerseits sollen sich die Linien nicht behindern. Andererseits zählt es Punkte, Stationen mehrfarbig zu erschließen. So will ich Distanz und Nähe zugleich“, schreibt er. Auch ihm ist das Spiel erst mit der Zeit ans Herz gewachsen. „Natürlich wiederholen sich bestimmte Muster mit der Zeit. Ich werde aber trotzdem nicht müde, es zu spielen, denn ‚Next Station London‘ baut zuverlässig Spannung auf und bringt gemessen an Aufwand und Spieldauer die richtige Tiefe mit“, schreibt er.⁷
Johanna France findet, dass „das Level an Herausforderung sehr gut getroffen“ sei. Auch ihr fällt auf, dass „Next Station London“ extrem solitär ist. Dennoch gefällt ihr das Spiel, insbesondere die beiliegenden Sonderkarten. Die sorgten für mehr Komplexität und für „eine zusätzliche Ebene, auf die man achten muss“, sagt sie.⁸
Auch im Spielerischen Quartett wurde „Next Station London“ besprochen. „Dadurch, dass wir mit Buntstiften zeichnen, ist man geneigt, das wegzuradieren“, sagt Christoph Schlewinski dort. „Und wenn man dann da rumradiert, kann das ein wahnsinniges Geschmiere auf dem Plan geben.“ Zu Beginn habe er sich gefragt, ob ein Spiel dieser Art nötig sei. „Aber dann habe ich es gespielt und gedacht: Doch, das brauchen wir bitte. Weil ich das Gefühl habe, dass ich wirklich ein U-Bahn-Netz baue.“ In seinen Runden seien alle „fasziniert davon“.⁹