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Gefördert: Spielzeugmuseum Nürnberg

Gefördert: Spielzeugmuseum Nürnberg

1. Genese und Struktur des Projekts

Die Entwicklung des Projekts „Lebensleistungen der Brettspielprofis“ erwuchs aus einer langjährigen Beobachtung von Udo Bartsch. Er hatte – als am Thema Spiel Interessierter und als Journalist gleichermaßen – immer wieder mit älteren und jüngeren Profis aus der Brettspielszene zu tun und nahm wahr, dass insbesondere die älteren vielfältige und hochinteressante Informationen sowie breites Wissen und einen eigenen, oft herausragenden Lebenserfahrungsschatz zum Thema Spiel in petto hatten. Udo Bartsch erkannte dies als Potential, als Wissensschatz für die Brettspielszene.

Diese Informationen, dieses Wissen und diese spielbiografischen Lebenserfahrungen und Lebensleistungen einzelner Brettspielprofis galt es im Projekt zu heben und zu bewahren, um der Brettspielszene ein auf mündlicher Befragung oder „Oral History“ basierendes Gedächtnis zu schenken. Aus diesem Grund kam Ende 2020 Spiel des Jahres auf die Museen der Stadt Nürnberg mit dem Projektgedanken zu, die Lebensleistungen der Brettspielprofis in mündlichen Befragungen zu eruieren, zu transkribieren und damit zu sichern.

2. Wissenschaftliche Vorgehensweise

Wunsch von Spiel des Jahres war, die Einzelpersönlichkeiten und deren Lebensleistungen in den Vordergrund zu stellen. Die Spieleszene ist ein komplexes und laufend weiterwachsendes Netzwerk, an dem kreative und beseelte Ideengeber (im Folgenden jeweils: m/w/d) beteiligt sind, ebenso wie strukturierte Realisierer, wirtschaftlich orientierte Verkäufer, neugierige Käufer und Kritiker sowie begeisterte Nutzer – und ihre jeweiligen Institutionen.

Der Fokus des Projekts sah vor, Menschen als Motoren der Entwicklung zu definieren und zu befragen. Menschen, die die deutsche Brettspielszene – bewusst oder unbewusst – zu dem geformt haben, was sie heute ist, sind das Zentrum des Projekts – die Brettspielprofis. Sie erzählten, methodologisch durchkomponiert, in lebensgeschichtlichen Leitfadeninterviews von ihren Erlebnissen, Erkenntnissen, Ideen, Wahrnehmungen und Erfahrungen mit dem umfassenden Themenkomplex „Spiel / Brettspiel / Brettspielszene“.
Der spielbiografisch aufgebaute Leitfaden strukturierte und pointierte die qualitativen, stets mehrere Stunden und oft mehrere Tage dauernden lebensgeschichtlichen Interviews. Das Projekt fokussiert damit ein wesentliches Forschungsdesiderat der Spielwissenschaften.

Grundsätzlich gehören zu den Brettspielprofis so breit aufgestellte und sich voneinander unterscheidende Vertreterinnen und Vertreter von Arbeitsfeldern wie Spieleautoren (m/w/d), Spieleverleger, Spieledrucker, Spiele-Illustratoren (m/w/d), Spielekritiker (m/w/d), Journalisten von Profi- wie von Amateurmedien, Spieleclubbetreiber sowie Menschen in Vereinen und Spielesammler. Seitens Spiel des Jahres war anfangs bewusst offengelassen worden, wer dem Kreis der zu Befragenden gehören sollte. Das zu entwickelnde Projektdesign sah deshalb vor, dass jede bereits befragte Person auch dazu gefragt werden sollte, welcher weitere Person als Interviewpartner dazu genommen werden sollte. Dadurch entstand ein größer werdender Pool von Namen und Personen, mit denen im Projektverlauf Leitfadeninterviews durchgeführt wurden. Zugleich kristallisierten sich Personen heraus, die „Musts“ der Szene waren und sind und die im Pool nicht fehlen sollten. Resultat des Abstimmungsprozesses war 2023 eine von Spiel des Jahres erarbeitete Wunschliste von Personen, mit denen die Interviews durchgeführt werden sollten. Das sind 41 Personen, von denen 35 männlich und sechs weiblich sind. 31 der Personen leben, zehn sind verstorben (Stand: 2/2024).
Die von Spiel des Jahres definierte Liste umfasst diese Namen: Helge Andersen, Christian Beiersdorf, Bernd Brunnhofer, Jochen Corts, Dagmar De Cassan, Ferdinand De Cassan Ϯ, Ilse Dreher-Plonka, Synes Ernst, Thomas Fackler, Friedemann Friese, Erwin Glonnegger Ϯ, Lothar Hemme, Wieland Herold Ϯ, Jürgen Herz, Dorothee Heß, Peter Janshoff, Reiner Knizia, Wolfgang Kramer, Peter Neugebauer, Joe Nikisch, Doris Matthäus, Dominique Metzler, Uwe Mölter, Reiner Müller Ϯ, Eugen Oker Ϯ, David Parlett, Alex Randolph Ϯ, Rudolf Rühle Ϯ, Johann Rüttinger, Michael Rüttinger, Sid Sackson Ϯ, Hans-Peter Schliemann, Klaus Teuber Ϯ, Bernward Thole Ϯ, Jürgen Valentiner-Brandt, Franz Vohwinkel, Claus Voigt, Reinhold Wittig, Karin Wittig, Knut-Michael Wolf und Klaus-Jürgen Wrede.

Die Entwicklung der Methoden zur Befragung der aktiven beziehungsweise lebenden Brettspielprofis unterschied sich selbstredend von jener der bereits verstorbenen. In Projektphase 1, der Datenerhebung, wurden die lebensgeschichtlichen Interviews durch mündliche Befragung erarbeitet. Projektphase 2 umfasste deren Verschriftlichung. Mündliche Rede und schriftlich festgehaltener Text sind dabei strukturell zwei völlig unterschiedliche mediale Formen.

Die Entwicklung der Texte erfolgte durch wörtliche Transkription mit anschließender Textbearbeitung, Vervollständigung von Sinnzusammenhängen und Grammatikanpassung. Diese Projektphase gehörte, neben der Datenerhebung selbst, zu den mit großem Abstand zeitaufwändigsten Arbeitsstufen, denn Mündlichkeit und Schriftlichkeit entsprechen sich nur bedingt. Aus diesem Grund war das Freigeben der Texte durch die Befragten als eigene Projektphase 3 definiert worden, denn noch so interessante Informationen sind wissenschaftlich wertlos, wenn die Befragten sie nicht zur weiteren Verwendung freigeben konnten, denn die Bedeutung gesprochener Worte differiert oft extrem von der schriftlichen Version. Auch dieser Arbeitsschritt erwies sich als extrem zeitaufwändig, da hier seitens des Projektteams mit hoher Sensibilität in zahlreichen persönlichen Treffen, Telefonaten und e-mails gearbeitet werden musste. Projektphase 4 war die Kontextualisierung der lebensgeschichtlichen Interviews im Gesamtblick auf die Brettspielszene: Welche Person steht mit
welchen Schwerpunkten wo im Gesamtgefüge des Themas Spiel in Deutschland in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts.

Das Projektdesign variierte bei den bereits verstorbenen zu Befragenden insofern, als die Datenerhebung durch Befragung von Familienmitgliedern und Wegbegleitern sowie durch Archivstudien in wissenschaftlichen gleichermaßen wie in populären Medien erarbeitet wurde. Die Verschriftlichung gestaltete sich in diesem Projektabschnitt weniger zeitintensiv als bei den spielbiografisch-lebensgeschichtlichen Interviews und folgte den wissenschaftlichen Prinzipien der Dichten Beschreibung, nach der Objektivität durch bis zum Paroxysmus gesteigerte und komprimierte Subjektivität erreicht werden kann (Clifford Geerts). Das bedeutet für die Lebensgeschichten, dass alle Informationen, die zu finden waren,
aufgegriffen und für die Datenerhebung der bereits verstorbenen Brettspielprofis herangezogen wurden. Zur Verifizierung der Texte wurden wiederum Familienmitglieder und Wegbegleiter angefragt und um Kooperation gebeten. Die Kontextualisierungen der Spielbiografien erfolgte entsprechend in Projektphase 4.

Für die spielbiografisch-lebensgeschichtlichen Interviews dienten die folgenden zehn Gesprächsimpulse als Leitfaden:

  • Impuls 1. Schnell und spontan: Sie und das Thema „Spiel“ – was fällt Ihnen als erstes dazu ein? Welche emotionale Verbindung haben Sie als Brettspiel-Profi zum Thema?
  • Impuls 2. Langsam und systematisch: Was ist Ihre erste wesentliche Erinnerung an das Thema Spiel in Ihrer Lebensgeschichte. Gab es einen Moment oder einen Menschen in
    Ihrem Leben, der Sie für das Thema Spiel begeistert, interessiert, entflammt hat? Wer war beteiligt? Und wann war das? Warum war die Begegnung lebenslang nachhaltig, maßgebend, prägend?
  • Impuls 3. Sehen Sie sich als haupt- oder als nebenberuflicher Spieleprofi? Wie sieht Ihr Profi-Leben als spielender Mensch aus? -> Lebensgeschichte mit Leitfaden „Spiel & Spielen“.
  • Impuls 4. Wenn Sie einem Menschen, der wenig Ahnung von Brettspielen oder unserer Branche hat, in wenigen Sätzen erklären müssten, was SIE persönlich für das Kulturgut Spiel und für die Branche erdacht, erfunden, entwickelt oder vorangebracht haben – wie würden Sie Ihre Leistung in wenigen Sätzen und für Laien verständlich und kompakt darstellen?
  • Impuls 5. Sie, ganz privat: Was spielen Sie? Warum spielen Sie? Wo spielen Sie? Mit wem spielen Sie? Wie oft spielen Sie? Womit spielen Sie? Was ist Ihnen dabei wichtig
  • Impuls 6. Das Schwierige & Problematische: Gibt es etwas in Ihrer Biografie als Brettspiel-Profi oder in der Brettspiel-Branche, das Sie als problematisch und verbesserungswürdig empfinden? Konkret: Wo schwächelt die Brettspiel-Branche?
  • Impuls 7. Das Herausragende, Gute & Begeisternde: Welche Person(en) wertschätzen und ehren Sie in der Brettspielbranche ganz besonders – und warum? Wer hat in Ihren
    Augen wesentliche und zukunftsweisende Impulse für die Branche gesetzt? Und konkret: Wer sollte für das hier laufende Projekt von Spiel des Jahres e.V. unbedingt auch noch befragt werden?
  • Impuls 8. Welche zeithistorischen und welche aktuellen Entwicklungen in der Branche begrüßen Sie – und warum?
  • Impuls 9. Ihr Traum und Ihre Vision des Kulturguts Spiel: Gibt es Ideen oder Impulse Ihrerseits, die es wert sind, verbreitet zu werden?
  • Impuls 10. Welcher Satz, welches Zitat ist Ihr Credo, Ihr Leitsatz zum Kulturgut Spiel, zu Brettspielen und/oder zur Branche?

3. Finalisierung des Projekts

Für die Wissenschaftskommunikation wurden im Projektverlauf zwei Präsentationsformen erwogen, zum einen ein „Lexikon der Brettspielprofis“, zum anderen eine Ausstellung „Lebensleistungen der Brettspielprofis“. Die Präsentationsform des „Lexikon der Brettspielprofis“ brächte ein wissenschaftliches Authentizitätsproblem mit sich, denn jedes Lexikon strebt grundsätzlich Vollständigkeit an. Die Kriterien der Aufnahme in das „Lexikon der Brettspielprofis“ wurden durch das bewusst offen angelegte Projekt im Untersuchungsdesign definiert und laufend partizipativ untermauert. Der Lösungsvorschlag beinhaltet, dass ein Lexikon von vorne herein als Ergänzungswerk angelegt werden könnte und als „work in progress“ weiterlaufen darf – ein attraktiv gestaltetes Sammlungswerk, zum Beispiel eine elegant gestaltete klassische Loseblattsammlung.

Die Präsentationsform der Ausstellung „Lebensleistungen der Brettspielprofis“ wiederum birgt das Problem des Umfangs, da 41 umfangreich als Text vorliegende Lebensgeschichten in einer Ausstellung eher schwerlich zur Darstellung zu bringen sind. Ausstellungen sind grundsätzlich kreativ-künstlerisch- wissenschaftliche Präsentationsform, wohingegen Texte die analoge oder digitale Form beinhalten sollten. Eine Ausstellung könnte hingegen die weiterführenden wissenschaftlichen Fragen beantworten: „Wie wurde die Brettspielszene zum komplexen Netzwerk? Welche Menschen stehen mit welchen Lebensleistungen dafür? Was macht die Brettspielprofis, die Deutschlands Szene prägen, aus? Inwiefern sind Brettspielprofis ‚besondere Menschen‘?

Die im Förderantrag definierten und in den Abstimmungsgesprächen mit Spiel des Jahres konkretisierten Projektphasen wurden im Februar 2024 abgeschlossen. Alle weiteren Schritte zum Umgang mit den erhobenen spielbiografisch-lebensgeschichtlichen Interviews können wiederum in der bereits erfolgreichen und konstruktiven Kommunikation mit Spiel des Jahres prospektiv angedacht werden.

Prof. Dr. Karin Falkenberg
Spielzeugmuseum Nürnberg