Praktikumsberichte von Uwe Martin
Hans im Glück Verlag
Internationales Süddeutsches Spieleautorentreffen in Haar am 1. und 2.11.2008
„Wenn einer eine Reise tut….“ – da muss alles gut geplant sein. So hatte ich mir vorgenommen, die Planung für die vier Wochen des Stipendiums möglichst frühzeitig zu beginnen und die Termine strategisch günstig zu legen. Das 12. Internationale Süddeutsche Spieleautorentreffen in München-Haar am 1. und 2.11.2008 und meine erste Praktikumsstation beim Hans im Glück Verlag liegen räumlich zusammen und ließen sich zeitlich kombinieren. Nach einigen Mails mit Dirk Geilenkeuser war dann klar: Mein Praktikum sollte am 3.11. beginnen und „interessante Arbeit gibt es genug, da einige Prototypen aus Essen noch getestet werden müssen.“
Vorher stand also das Spieleautorentreffen auf dem Programm, eine kleine, aber feine und sehr gut organisierte Veranstaltung. Der erste Eindruck: Tom Werneck heftete als ordnende und organisierende Kraft sogar noch selber die Fotos der vielen Redakteure und Verlagsvertreter an die Pinnwand im Eingangsbereich. Als Neuling in der Szene begegneten mir erste Gesichter wieder, die ich in Göttingen und Essen schon getroffen hatte. Ich war überrascht, in welcher Anzahl die Verlagsvertreter in Haar anwesend waren und wie fleißig die Redakteure arbeiteten. Beim Herumschlendern durch die Tischreihen entdeckte ich ständig engagierte Redakteure, die sich von Autoren die Spiele erklären ließen und auch an meinem Tisch führte ich interessante Gespräche. Ich bekam gute Tipps für mein Praktikum und lauschte nebenbei den Gesprächen der anderen. Natürlich konnte ich nicht bei allen Themen mitreden, dazu fehlt es mir an Erfahrung im Spielesektor und die ganzen Autorennamen und Spieletitel sind mir nicht geläufig, aber ich bekam ein Gefühl dafür, wie vielschichtig und vielgestaltig die Themen rund um das Erfinden von Spielen sind.
Als ausgebildeter bildender Künstler interessierten mich in erster Linie die kreativen Prozesse und die ästhetischen und gestalterischen Aspekte bei der Spieleentwicklung. In den Gesprächen mit den Redakteuren in Haar fiel mir auf, dass ihre Suche nach einer neuen Spielidee sehr geprägt ist vom Blick auf Produktionskosten und Realisierbarkeit. Viel Lob für meine gute Spielidee, den innovativen Spielmechanismus und die originelle Materialverwendung standen einer reservierten Haltung bezüglich der Umsetzung und Machbarkeit gegenüber. Neben den vielen Erfahrungen der Redakteure, welche die Möglichkeiten der Umsetzung einer Spielidee und die Marktgegebenheiten einzuschätzen wissen, vermisste ich ein bisschen den Mut, auch mal etwas Ungewöhnliches anzufassen.
Es geht los: Praktikum beim Hans im Glück Verlag vom 4. bis 8.11.2008
Nach den Infos von der Website des Verlags war ich auf einen kleinen Verlag eingestellt. Auf dem Spieleautorentreffen hatte ich bereits von Karl-Heinz Schmiel und Georg Wild einiges über die Arbeitsteilung im Verlag erfahren. Bei Hans im Glück wird Outsourcing groß geschrieben und betrifft Produktion, Vertrieb, Werbung und Promotion. In der Birnauer Straße findet tatsächlich in erster Linie redaktionelle Arbeit statt. Als ich ankam, war erst einmal nur Dirk Geilenkeuser im Haus. Er zeigte mir die Räumlichkeiten. Es schloss sich ein Termin mit einem Spieleautor an, der uns ein Kartenablegespiel vorstellte. Das Spiel war kurzweilig und interessant. Es funktionierte mit drei und vier Spielern gut, war aber nicht für den Hans im Glück Verlag geeignet. Als Erwachsenenspiel hatte es nicht genug Spieltiefe. Danach spielten wir noch kurz ein weiteres Spiel an, das mir aufgrund eines besonderen Geschicklichkeitsffektes gut gefiel. Der Spieler musste Schätze mit einem Stab zu sich schieben. Beim Probespielen sammelte ich erste Erfahrungen, welche Kriterien an Spieleentwicklungen angelegt werden.
Im nachfolgenden Gespräch mit Bernd Brunnhofer erfuhr ich einiges über die Spieleproduktion und die Arbeitsweisen des Verlags, über die Verlagsgeschichte und die Produktionsabläufe. Ich war beeindruckt von der Vielzahl der Spiele, die der Hans im Glück Verlag bereits herausgebracht hat. Da ich kein Vielspieler bin und den Markt daher nicht so gut kenne, kannte ich die meisten Spiele vorher leider nicht, und so staunte ich nun vor der Ansammlung der realen Spielekartons.
Für den Abend stand der allmonatliche Spieleabend des Hans im Glück Verlags auf dem Programm, an dem einige Messeneuheiten gespielt wurden. Als ich gegen 18.00 Uhr ankam, waren die ersten Spieler bereits da. Ich setzte mich an einen Tisch und liess mir eine Messeneuheit erklären. Meine beginnende Grippe und der Eindruck eines sehr material- und regelaufwändigen Spiels ließen mich jedoch einen Rückzieher machen und ich räumte meinen Platz für einen anderen Spieler. Stattdessen schaute ich bei einer Partie„Dominion“ vorbei und spielte dieses neue Spiel des Hans im Glück Verlags. Das Spiel gefiel mir sehr gut. Es zeichnet sich durch einen neuen Spielmechanismus aus, der durch das variantenreiche Ausspielen und Ansammeln einer Kartenhand entwickelt wird. Als ich das Haus verliess, um meine Grippe zu kurieren, waren neben den etwa 20 Gästen noch drei Verlagsmitarbeiter im Spieleeinsatz.
Test von Prototypen und Kennenlernen der Arbeitsabläufe im Verlag
Am Dienstag waren wir um 12.00 Uhr zum Probespielen von Prototypen verabredet. Als erstes spielten wir ein Spiel, das die Redakteuere aus Essen mitgebracht haben. Ich war erstaunt, wie durchgearbeitet das Spiel bereits war. Dann erfuhr ich, dass das Spiel bereits bei einem anderen Verlag kurz vor der Produktionsreife stand, dann aber doch nicht realisiert wurde. Der Autor hat sich dann an den Hans im Glück Verlag gewendet, da dieser „sein Wunschverlag“ für dieses Spiel war. Bernd Brunnhofer sprach über Argumente für oder gegen Thema und Mechanismus des Spiels im Markt, und das Spiel wurde beiseite gelegt.
Als nächstes kam eine für die Spielwarenmesse 2009 in Nürnberg geplante Neuerscheinung auf den Tisch. „Maori“ von Günther Burkhardt ist ein interessantes und kurzweiliges Familienspiel mit unterschiedlichen Schwierigkeitsgraden. Das Spiel wurde bereits mehrfach getestet, und wir spielten die „anspruchsvolle“ Version zur Probe. Dabei fährt jeder Spieler mit einem Schiffchen um 16 Plättchen, die in der Tischmitte aufgedeckt sind. Jeder Spieler kann nach einem bestimmten Modus Plättchen herausnehmen und auf seinem Spielplan platzieren. Auf diesem Spielplan muss er Inseln bauen, Schiffchen, Palmen und Häuschen erhöhen die Wertung und erweitern den Aktionsradius. Bezahlt wird mit kleinen Kauri-Muscheln – ein Material, das bei diesem Spiel natürlich einen besonderen Reiz ausmacht. In der ersten Runde stellten wir fest, dass zu viele Wasserplättchen im Spiel waren. Eine zweite Runde mit weniger Wasserplättchen lief entsprechend runder. In den nächsten Tagen musste ein Grafiker für das Spiel gefunden werden, der sich in der kurzen Zeit bis Nürnberg um die Gestaltung kümmert.
Zum Ende des Tages zeigte Moritz Brunnhofer noch den vom Hans im Glück Verlag produzierten Podcast zum Spiel „Stone Age“. Dieser soll eine kleine Einführung zum Spiel sein und für Einsteiger einen schnelleren Start ins Spiel ermöglichen. Moritz erzählte von den Produktionsbedingungen. Alle waren mit dem Ergebnis zufrieden und der Hans im Glück Verlag hat damit erste Erfahrungen mit einem Podcast zum Spiel gesammelt.
Am Mittwoch musste ich leider meine Grippe kurieren. Der Donnerstag war erneut dem Probespielen gewidmet. Vorher saß ich mit Bernd Brunnhofer und Dirk Geilenkeuser zusammen. Es ging um allgemeine Betriebsorganisation und -abläufe, Arbeitsteilung und Zuständigkeiten, Prioritätensetzung in den Arbeitsabläufen und die ganz normalen Schwierigkeiten im Arbeitsalltag. Da der Hans im Glück Verlag so klein ist und nicht immer alle Mitarbeiter anwesend sind, ist eine gute Organisation besonders wichtig. Dieses Thema erinnerte mich an meinen normalen Arbeitsalltag und ich war froh, dass ich diese Probleme in Bremen zurückgelassen hatte.
Vorstellung der eigenen Spielideen
Danach stellte ich Bernd und Moritz mein Familienspiel „Räuberbande“ vor und wir führten ein offenes Gespräch über die „unmögliche Realisierbarkeit“ dieses Spiels. Die Anforderungen an die Produktion lassen das Spiel aus Sicht des Verlags im üblichen Rahmen als „nicht produzierbar“ erscheinen. Dabei spielen in erster Linie die verwendeten Materialien eine große Rolle. Gummischläuche entsprechen leider nicht den scharfen EU Bestimmungen in Hinsicht auf die im Spielmaterial enthaltenen Schadstoffmengen. Auch meine Figuren sind vermutlich nur im Spritzgussverfahren herzustellen, was zu erheblichen Werkzeugkosten in der Produktion führt. Selbst meine Pappschachteln sind schon ein erheblicher Kostenfaktor.
Alle diese Argumente hatte ich ja schon vor ein paar Tagen in Haar von verschiedenen Redakteuren gehört. Ich fand es gut, hier noch einmal die gesamten zu berücksichtigenden Produktionsaspekte an meinem Spiel durchdekliniert zu bekommen. Als Spieleautor soll man sich sicher nicht durch solche Aspekte in seiner Kreativität und Phantasie beschneiden lassen. Aber der Blick auf die eigenen Spiele aus der Sicht des Verlegers ist hilfreich für die Zukunft. Nach einer Diskussion mit Bernd über die Möglichkeiten im Erwachsenenspielemarkt im Vergleich zum Bereich der Familien- und Kinderspiele – bei denen es mehr Möglichkeiten gibt und die Risikobereitschaft größer ist – schöpfe ich wieder etwas Mut: Vielleicht klappt es doch irgendwo mit meiner „Räuberbande“.
Mein Prototyp „Stratoo!!“ gefiel als abstraktes Spiel, das auch mit drei und vier Spielern funktioniert. Da die meisten abstrakten Spiele nur zu zweit funktionieren, machte Bernd mir ein bisschen Hoffnung und lobte den Mechanismus, bei dem die Würfel als Spielsteine im Spielbrett verschoben werden.
Im Anschluss an diese Gespräche kamen Karl-Heinz Schmiel und Dieter Hornung vorbei, um in einer Proberunde weitere Prototypen zu spielen. Beide sind seit Jahren als freie Mitarbeiter für den Hans im Glück Verlag tätig und repräsentieren neben Bernd Brunnhofer die geballte Spielekompetenz des Verlags. Wir testeten ein weiteres Spiel. Moritz erspielte sich schon durch seinen ersten Zug einen Vorteil, den er das ganze Spiel über behielt und durch die anderen Spieler in ihren Möglichkeiten eingeschränkt wurden. Ich fragte nach, warum wir das Spiel trotzdem bis zum Ende durchspielten. Daraufhin erzählten Dieter Hornung und Karl-Heinz Schmiel von den Erfahrungen aus ihren unzähligen Testspielrunden und berichteten, dass sie die Spiele in der Regel immer bis zum Ende spielten. Denn in der Endphase eines Spiels könnten sich noch überraschende Wendungen ergeben und auch in der Wertungsphase mitunter noch interessante Spielmomente verbergen. Das Herausarbeiten solcher Aspekte kann dann aus einem relativ unauffälligen Spiel doch noch ein interessantes machen. Zwischendurch klingelte wiederholt das Telefon; die Organisation für „Maori“ mit Materialbeschaffung der Kauri-Muscheln und der Entscheidung für den Grafiker lief auf Hochtouren… der ganz normale Verlagsalltag eben.
Spielwies´n in München – 7. bis 9.11.2008
Am Freitag war im Verlag nichts los, denn vom 7. bis 9.11. war Spielwies`n in München. Ich hatte also Zeit, auch hier bekannte Gesichter wieder zu treffen. Am Stand der Spieleautorenzunft begrüßte mich Peter Insenhofer noch vor Messeöffnung, während er noch fleißig den Stand einrichtete.
Ich hatte mir vorgenommen, ein wenig herumzuschlendern und mir Zeit zu nehmen, ein paar neue Spiele zu spielen. In Essen war das wegen des großen Andrangs kaum möglich. Die Spielwies´n zeichnet sich durch ein großes Areal mit Tischen und Bänken aus, an dem Spiele aus der Spielothek gespielt werden können. Am Stand des Adlung-Verlages sprach mich das Kartenspiel „Flix Mix“ von Bernhard Naegele an, bei dem man nach zwei gleichen farbigen Markierungen suchen muss, um diese übereinander zu legen. Ein Spielmechanismus, der mir interessant für meine eigenen Spielentwicklungen erschien. Beim Spielen kamen wir richtig in Fahrt, und ich ließ mir noch drei weitere Spiele erklären, die ich für meine Kinder mit nach Bremen nahm.
Schließlich landete ich wieder beim Stand des Hans im Glück Verlages. Hier ließ ich mir das Spiel „Die hängenden Gärten“ von Din Li erklären und ich staunte nicht schlecht, als ich eine Abwandlung des Mechanismus mit den anzulegenden Karten aus dem Adlung-Spiel „Flix Mix“ entdeckte. Aber so ist das halt. Gute Ideen werden hier und da in veränderter Form immer wieder auftauchen. Der Kartenlegemechanismus bei den „Hängenden Gärten“ gefiel mir gut, mit den Punktewertungen hatte ich so meine Schwierigkeiten. Meine beiden Mitspieler und ich fühlten uns insgesamt gut unterhalten. Die Zeit verflog. Am nächsten Tisch ließ ich mir „Stone Age“ erklären. Da ich einige Berührungsängste mit Optimierungs- und Sammelspielen habe und mich zu viel Spielmaterial auf dem Tisch schnell überfordert, freute ich mich über die qualifizierte Einführung des Spieleerklärers. Ich war überrascht, wie schnell und schlüssig alles erklärt wurde und wie schnell wir uns mit „learning by playing“ das Spiel erschlossen. Nach dieser Partie blieb nur noch eine halbe Stunde für ein kurzes Gespräch mit Dirk Geilenkeuser, der auch noch auf der Wies´n vorbeigekommen war.
Für mich war es insgesamt eine ereignis- und lehrreiche Woche, von der ich sicher in meiner weiteren Tätigkeit als Spieleautor profitieren werde. An dieser Stelle möchte ich allen aus dem Hans im Glück Verlag noch einmal für die tolle Zeit in München danken.
Uwe Martin, Bremen im November 2008
Verlag Ravensburger
Der Pförtner am Tor vom Ravensburger Spieleverlag erzählt mir, dass er heute seine erste Tagschicht allein hat und entsprechend aufgeregt ist. Mir geht es ähnlich angesichts des beeindruckenden Gebäudekomplexes des Ravensburger Verlagshauses. Nach kurzer Wartezeit holt mich Gregor Thomas vom Haupttor ab und führt mich in die Familienspielredaktion. Er ist seit Oktober Volontär bei Ravensburger und stellt mich den Redakteuren Lothar Hemme und André Maack vor. André Maack hatte ich vorher bereits in Göttingen kennen gelernt. Gregor hat für mich einen Wochenplan zusammengestellt, der mich in die unterschiedlichen Redaktionen führen wird, und er zeigt mir die Redaktionsräume. Im anschließenden Gespräch mit André Maack und Lothar Hemme sprechen wir über die Produktionsbedingungen beim Ravensburger Verlag und anderen Spieleverlagen in Deutschland; über die derzeitigen Marktbedingungen, die Situation der Spieleläden und Fachhändler in Deutschland, über Marktanalysen im Spielebereich, das Erschließen neuer Zielgruppen für Spiele und die Entwicklungen, die in den letzten Jahren sowohl auf Verlagsseite als auch auf Autorenseite stattgefunden haben. Die Informationen, die ich von Lothar Hemme zu diesen Themen erhalte, lassen meine Eindrücke, die ich bei meinem Besuch auf der Messe in Nürnberg gewonnen habe, noch einmal in einem anderen Licht erscheinen.
Nach der Mittagspause steht das Probespielen von Prototypen auf dem Programm. Wir sitzen in einem kleinen Konferenzraum in unterschiedlichen Konstellationen zusammen und testen insgesamt 5 Spielentwicklungen. Einige der Spiele enthalten sehr interessante Ideen, und diese Spiele werden mit den entsprechenden Empfehlungen an die Spieleautoren zur Weiterentwicklung zurückgeschickt. Es gibt aber auch Exemplare, die so wenig durchgearbeitet sind, dass keine klare Empfehlung auszusprechen ist. Bei manchen Spielen kommt es vor, dass man als Spieler gar keine Wahl- oder Entscheidungsmöglichkeiten für seinen Zug bekommt, sondern die Spielregel den nächsten Spielzug vorschreibt. Dann wird es für einen Spieler extrem langweilig Man wird sozusagen vom Spiel gespielt. Bei manchen Entwicklungen ist die Spieltiefe so angelegt, dass man nur zwischen drei oder vier verschiedenen Zugvarianten auswählen kann; das Spielende kommt für alle Spieler völlig überraschend, und alle strategischen Überlegungen laufen ins Leere. Ein weiteres Spiel ist nur die schlechte Kopie eines Klassikers. Zum Schluss legt uns Lothar Hemme noch ein Spiel auf den Tisch, das uns angestrengten Mitspielern wieder ein Lächeln ins Gesicht zaubert. Ein „Antioptimierungsspiel“, bei dem jeder Spieler jede Figur ziehen darf und die Ereignis- und Zielkarten mit ihren Anweisungen den „normalen Spielablauf“ ad absurdum führen. Eine witzige Idee, die, wie ich finde, das Potential zur Veröffentlichung hat.
Der zweite Tag beginnt mit einer Betriebsführung. Ich sitze mit einer Berufsschülergruppe in einem Vortragsraum und erhalte Informationen über die Firmengeschichte, die Firmenphilosophie und das Selbstverständnis und den Wertekodex der Marke Ravensburger. Uns wird die Produktpalette in ihrer ganzen Breite vorgestellt, und ich erhalte einen Eindruck, wie ausgefeilt die Marketingstrategie des Unternehmens angelegt ist und wie sich das Unternehmen auf den unterschiedlichen Marktsegmenten aufgestellt hat. Beim historischen Rückblick wird auch mir deutlich, wie viele Produkte der Ravensburger meine Kindheit und die meiner Kinder mitgestaltet haben. In der anschließenden Führung durch die Produktionshallen – in Ravensburg selbst werden nur die Puzzles produziert – bin ich beeindruckt von der ausgefeilten Steuerung und Logistik, die hier jeden Arbeitsschritt überwacht.
In dem anschließenden Infogespräch mit Jürgen Hölzer aus der Redaktion Puzzle erfahre ich einiges über die Besonderheiten des Puzzlemarktes und die Produktionsabläufe – von der Motivauswahl bis zum fertigen Produkt. Wir unterhalten uns über die Schwierigkeiten bei der Umsetzung bestimmter Bildmotive in Puzzles und die zuweilen sehr eigentümlich erscheinende Bildwelt der Puzzlemotive, die Zielgruppen für Puzzles und die unterschiedlichen Motivvorlieben in den verschiedenen europäischen Märkten.
Am Nachmittag steht wieder Probespielen auf dem Programm. Ich habe meine beiden Prototypen mitgebracht und bin gespannt, wie sie aufgenommen werden. Gestern Abend habe ich noch einiges an der „Räuberbande“ geändert und ich hoffe, dass sich die Änderungen positiv auf den Spielablauf auswirken. Nach 35 min. Anspannung bekomme ich überwiegend positive Rückmeldungen und sehr konkrete Anregungen, an welchen Stellen ich das Spiel noch weiterentwickeln kann. Mein Spiel „Stratoo!“!“ wird nur kurz angespielt, es passt definitiv nicht ins Verlagsprogramm, aber ich bekomme ein paar Tipps, welche Verlage sich dafür interessieren könnten.
Danach kommt ein komplexes Erwachsenenspiel auf den Tisch, das bei Ravensburger realisiert werden soll und bereits einige Probespielrunden absolviert hat. Wir testen ca. 60 min. bis zum Spielende. In dem Spiel ist ein neuer Mechanismus eingebaut worden, um eine größere kommunikative Komponente im Spiel zu haben. Der nachträglich eingebaute Mechanismus erweist sich aber eher als verkomplizierendes Moment und überzeugt nicht. In der anschließenden Diskussion können wir einige Ideen entwickeln, die den Spieleautoren zur Überarbeitung weitergeleitet werden. Gegen 19.00 Uhr geht der Redakteursalltag dann mit dem Checken der letzten E-Mails zu Ende, und auch ich verabschiede mich aus dem fast leeren Verlagsgebäude.
Der dritte Tag beginnt mit dem monatlichen Jour Fix der gesamten Spieleredaktionen. Hier sitzen die Mitarbeiter der Familienspielredaktion mit den KollegInnen der Kinderspieleredaktion, der Lizenzspielredaktion, dem Vertrieb International und der Leitung der Spieleredaktion zusammen. Es werden gemeinsame Projekte besprochen und intensiv über Schwierigkeiten und Lösungsmöglichkeiten in der Koordination von Kalkulations- und Produktionsplanungsabläufen diskutiert. Nach einer Stunde muss ich die Diskussion verlassen. Auf meinem Terminkalender steht ein Termin mit dem Leiter der Technischen Produktentwicklung. Hier bekomme ich einen Eindruck davon, wie viel Arbeit allein in der Entwicklung der Plastiktruhe im Spiel „ Wer war´s “ steckt. Vom ersten Entwurf bis zur letzten Genehmigung vor der Freigabe zur Produktion in China füllt der Vorgang einen ganzen Aktenordner.
Im nachfolgenden Gespräch mit dem Leiter der Abteilung Ministeps, einer jungen Produktgruppe bei Ravensburger, die sich an die 0-3jährigen richtet, sind auch wieder die hohen Sicherheitsstandards bei Ravensburger und die strengen EU-Normen für Spielzeug ein Thema. Ich erfahre, dass ein batteriebetriebenes Wackelentchen mit elektronischen Bauteilen allein in der Entwicklung drei Jahre gebraucht hat und wie streng die Warenkontrolle besonders bei den Ministep-Produkten organisiert ist.
Nach dem Mittagessen treffe ich mich mit dem Leiter der Qualitätssicherung. Hier bekomme ich dann die letzten Infos zur Materialprüfung und den Prüfkriterien und Prüfverfahren, die bei Spielen beachtet werden müssen. Ein Glück, dass ein Spieleautor das alles den Fachleuten und Spezialisten überlassen kann. Mir raucht ein bisschen der Kopf nach so vielen Infos, und etwas ermattet schleppe ich mich zum nächsten Termin. Katja Volk erzählt mir von ihrer Arbeit in der Redaktion Kinderspiel, und ich erfahre auch einiges über die Lizenzspiele im Kinderspielbereich. Wir sprechen darüber, wie wichtig die Probespielrunden bei den Kinderspielen sind und dass Katja Volk regelmäßig die Kindergärten und Grundschulen in der Nachbarschaft zum Probespielen besucht.
Danach steht noch ein Probespieltermin auf dem Programm. Der Autor ist im Verlag vorbeigekommen. Erst werden Spielfiguren in Augenschein genommen, die die Technische Produktentwicklung als Prototypen für einen Spielentwurf angefertigt hat; dann wird ein weiterer Prototyp Probe gespielt. Es geht um einen Mechanismus, bei dem es wichtig ist, dass der Spieler ein ausgewogenes Verhältnis zwischen Waren und Lagerplätzen organisiert. Das Spiel gefällt gut, ist aber in der Endspielphase noch nicht ganz ausgewogen, und es fehlt noch ein kommunikatives Spielmoment. Nach einem langen und anstrengenden Tag verabschiede ich mich und fahre ziemlich schlapp zurück in meine Unterkunft.
Mein erster Termin am Donnerstag ist ein Treffen mit der Redakteurin der Produktlinie „Beschäftigung“. Hierunter fallen die Mandala Zeichenkästen, Malen nach Zahlen, Experimentierkästen. Frau Heike Schmidt erzählt von der Marktsituation in diesem Produktbereich, den Zielgruppen und den direkten Konkurrenten in den einzelnen Produktschienen. Bei der Entwicklung neuer Produkte, zum Beispiel eines Experimentierkastens, stehen neben einer genauen Markteinschätzung und einer Kalkulation des Produkts die Absatzchancen und natürlich wieder die Sicherheitsstandards sowie die EU Normen auf der Agenda. Ich erhalte auch über diese Produktgruppe einen guten Überblick.
Im nächsten Gespräch erhalte ich einen Einblick in das internationale Vertriebsgeschäft. Neben den direkten Vertriebsgesellschaften im westeuropäischen und nordamerikanischen Markt kümmert sich nur ein kleines Team bei Ravensburger um den Rest der Welt. Die Strategien, die entwickelt wurden, um die Produkte auf den internationalen Märkten abzusetzen, sind natürlich an den jeweiligen Kulturkreis und die speziellen landesüblichen Gegebenheiten angepasst. Bei kleinen Auflagen werden nur spezielle Einlegeblätter mit übersetzten Regeln zusätzlich in die Verpackung eingeschweißt. Bei größeren Auflagen werden aber auch die Schachteln entsprechend umgestaltet.
Nach einer kurzen Kaffeepause steht ein Titel-Brainstorming für ein Spiel aus der Kinderspielredaktion auf dem Programm. Die Redaktion möchte das Spiel machen, obwohl auf der berühmten Suchfeldliste, nach der die Redakteure die Spiele suchen, in dem speziellen Segment zur Zeit kein Titel gesucht wird. Das Spiel gefällt in seinem Mechanismus so gut, dass es auf jeden Fall realisiert werden soll. Zum Brainstorming haben sich die Familienspielredaktion, die Kinderspielredaktion und der internationale Vertrieb zusammengefunden. Das Spiel hat einen originellen aber einfachen Mechanismus und soll für die Altersgruppe 6-99 Jahre sein. Ich bin etwas erstaunt, als beim Brainstorming die Produktkataloge heraus geholt werden um nach Figuren und Materialien zu suchen, die bereits in einem anderen Spiel vorkommen und eventuell für das Spiel funktionieren könnten. Dann entwickelt sich das Brainstorming aber doch recht frei und es werden ein paar schöne Ideen assoziiert.
Nach dem alltäglichen Mittagessen in der Kantine gehen wir, Lothar, André, Gregor und ich, ins Spielearchiv des Verlags. Hier lagern die Spiele, die seit den 60ziger Jahren realisiert wurden, und wir stöbern ein wenig in unseren Spieleerinnerungen bzw. in den Erinnerungen eines langen Ravensburger Redakteurslebens. Leider ist das Archiv nicht chronologisch geordnet und gerade in einer Umbauphase.
Am Nachmittag stehen dann wieder Prototypen auf dem Programm. Wir spielen zwei komplexe Spiele, die für die Ravensburger Vielspielermarke alea in Frage kommen. Die Spiele bekommen wir von einer externen Mitarbeiterin vorgestellt, die als Nebenjob immer mal wieder einige Spiele vorbereitet. Es handelt sich um ein Kartensammel- Mehrheitenspiel, bei dem über 5 Runden gespielt wird. In den Runden baut man Häuser und sammelt Wappen. Das Spiel ist ausgewogen, sehr unterhaltsam und hat einen hohen kommunikativen Anteil. Die schlechte grafische Ausarbeitung macht es aber etwas schwer spielbar. Da der Spielmechanismus mit dem Einsammeln der Karten interessant und neu erscheint und gut funktioniert, werden wir das Spiel morgen Stefan Brück, dem Redakteur der Vielspielermarke, alea vorstellen. Das zweite Spiel ist ein Mehrheitenspiel, bei dem man Steuereintreiber auf Landschaften setzt, um Erträge zu bekommen, und damit Gebäude bauen kann. Nach einer kurzen Anspielrunde treten einige Regelunklarheiten auf, die vom Autor abgefragt werden sollen. Auch dieses Spiel wollen wir morgen mitnehmen.
Freitag, mein letzter Tag bei den Ravensburgern. Wir haben uns auf einer Autobahnraststätte bei Landsberg mit Stefan Brück verabredet. Während der Fahrt erzählt Philipp Sprick von den Plänen, für das Spiel Kuhhandel (eines meiner Lieblingsspiele) eine Erweiterung zu entwickeln. Das Spiel läuft auf dem niederländischen Markt besonders gut, und dort soll, aufgrund einer relativen Marktsättigung, versucht werden, mit einer Erweiterung das Spiel noch einmal zu pushen. Um 11.00 Uhr treffen wir Stefan und beginnen sofort zu spielen. Die gestrigen Regelunklarheiten sind ausgeräumt und wir spielen zuerst das Mehrheitenspiel. Nach drei Runden stellen wir fest, dass das Spiel nicht ausgewogen ist. Ein Spieler liegt uneinholbar vorn und wird durch den Spielmechanismus auch noch begünstigt. Wir brechen das Spiel ab. Das Kartensammel- Mehrheitenspiel gefällt und funktioniert auch in der 4er Version gut. Wir haben unseren Spaß, und am Ende der 5 Spielrunden soll das Spiel weitere Testrunden durchlaufen.
Dann erzählt Stefan, dass Ravensburger auf der Suche nach einem Würfelspiel ist. Er hat uns 5 Würfelspiele mitgebracht, die wir jetzt nacheinander testen. Dabei stehen 3 Prototypen und zwei bereits von Ravensburger in den 80ziger Jahren herausgebrachte Spiele auf dem Tisch. Wir spielen 2 Spiele bis zur Wertungsphase und die anderen, bis wir alle Regelanteile ausprobiert haben. Am Ende machen wir eine Rankingliste. An der Spitze stehen ein Prototyp und ein bereits in den 80ern veröffentlichtes Ravensburger Spiel. Eine Entscheidung muss noch nicht getroffen werden, da das Würfelspiel erst 2010 herauskommen soll. Also kann Stefan die Spiele erst mal wieder einpacken und weiter suchen.
Für mich geht eine ausgefüllte Woche zu Ende, und ich muss mich auf den Heimweg machen. 8 Stunden Bahnfahrt liegen vor mir, auf denen ich diesen Bericht beenden will. Was hat sich für mich durch den Aufenthalt in Ravensburg geändert? Schaue ich jetzt anders auf Spiele? Die Probespielrunden und die vielen verschiedenen Prototypen haben mir die Möglichkeiten eröffnet, die unterschiedlichen Aspekte, die ein Spiel bedienen kann, zu benennen, zu erkennen und zu unterscheiden. Begrifflichkeiten wie Spieltiefe, Regeltiefe, kommunikative Aspekte im Spiel, Ausgeglichenheit und Ausgewogenheit im Spiel, Startspielervorteil – zu all diesen Fachtermini habe ich jetzt positive und negative Beispiele erlebt und kann Prototypen fortan sehr viel besser beschreiben. Für meine eigene Tätigkeit als Spieleautor habe ich in diesem Bereich sicher sehr viel gelernt, und ich möchte mich an dieser Stelle bei allen noch einmal für ihre Offenheit bedanken. Ich hatte wirklich das Gefühl, ein Teil der Redaktion zu sein.
Zum anderen habe ich in einen Industriebetrieb hineinschauen dürfen und mir ein Bild von der industriellen Produktion von Spielen machen können. Auch dies hat meinem Blick auf Spiele einen ganz neuen Blickwinkel eröffnet. Wie viele Schritte nötig sind, um von einem angenommenen Prototypen zu einen verkaufsfähigen Produkt zu gelangen, ist wahrlich beeindruckend.
SpieleErfinderStudio von Jens-Peter Schliemann
5. Mai 2009 in Köln bei Jens-Peter Schliemann
„Köln-Mitte“ steht über dem Schaufenster, in dem Mäuse und Zauberer zwischen Spielekartons herumwuseln. Ich stehe vor Jens-Peters (J.P.) SpieleErfinderStudio. Es ist der erste Tag meines Praktikums in Köln. Nach ein paar Worten zur Begrüßung sind wir schnell beim Thema Spiel und ich berichte von meinen sehr positiven Erfahrungen bei Ravensburger und bei Hans im Glück. J.P. ist seit 15 Jahren als Autor in der Spieleszene unterwegs, und ich freue mich, dass ich bei meinen Erzählungen vom Ravensburger Verlag auch ein paar für ihn interessante Neuigkeiten berichten kann. Ich habe einfach viele Zusammenhänge in dem Zusammenspiel zwischen Spieleautor, Spieleredakteur, Produktentwicklung, Marketing und Vertrieb bei der Entwicklung des Produktes „Spiel“ kennen gelernt, die mich in meinem Umgang mit Spielen sehr beschäftigen.
Zuerst stellt mir J.P. sein neues Dunkelspiel vor, das im Herbst beim „Drei Magier“-Verlag erscheinen wird. Ein toller neuer Mechanismus und sehr viel weniger Spielmaterial sollen das Spiel zu einem hoffentlich erfolgreichen Nachfolger von „Nacht der Magier“ werden lassen. Danach zeigt er sein neues Lizenzspiel „Willi und die Wunder dieser Welt“ und wir unterhalten uns über seine Erfahrungen, die er mit Lizenzspielen gesammelt hat.
Am Nachmittag haben wir bei Michail Antonow, einem Kooperationspartner von J.P. einen Probespieltermin vereinbart, an dem ich mein „Stratoo!!“ vorstellen will. Zuerst spielen wir jedoch eine Gemeinschaftsentwicklung von J.P. und Michail. „Fan Fan“ ist ein 2 Personen Strategiespiel das mir sehr gefällt. Die beiden berichten von den Schwierigkeiten für solche abstrakten Spiele einen Verlag zu finden. Für mein „Stratoo!!“ erhalte ich noch ein paar gute Anregungen, und den Abend verbringen wir mit dem Testen eines Spiels von Michail. Er hat sieben Versionen entwickelt, die auf einem einfachen Grundprinzip aufbauen, und wir spielen die verschiedenen Versionen durch. Dabei lassen sich die unterschiedlichen Atmosphären, die durch die kleinen Regeländerungen entstehen, gut beschreiben. Einige Spielversionen haben einen kämpferischen Charakter, und man fühlt sich etwas unwohl in der Rolle dessen, der seine Mitspieler platt machen soll. Hier steht das Gegeneinander im Spiel mehr im Vordergrund. Andere Versionen haben ein Bluffmoment das zu einem größeren Unterhaltungswert im Spiel führt. Es überwiegt hier der Eindruck eines spielerischen Miteinanders. Auch hier geht es darum, gegen den Mitspieler zu gewinnen; aber die eingesetzten spielerischen Mittel, List und Bluff, sprechen eine andere Kommunikationsebene an als das Direkte in der kämpferischen Version. Das Spiel ist von seinem Mechanismus her interessant und variantenreich. Es hat eine relativ kurze Spieldauer, so dass wir auch noch spontane Regeländerungen ausprobieren und um 1:00 Uhr den Probespielabend mit einem guten Gefühl und einigen Anregungen zur Weiterentwicklung beenden.
Am nächsten Tag erhalte ich eine kleine Vorlesung über endliche geometrische Darstellung in der Mathematik anhand des Spiels „Fire & Ice“ von J.P. Ich muss gestehen, dass ich den mathematischen Gedankengängen nur begrenzt folgen kann. Das Spiel fasziniert durch Einfachheit und Klarheit. Das Regelwerk ist in einer Minute erklärt und erreicht nach den ersten 15 Zügen eine Spieltiefe, die ich nicht erwartet hätte. Einige Züge später muss ich meine Niederlage erkennen. Das Spiel muss ich unbedingt für meine Jungs mitnehmen und zuhause ein bisschen üben. J.P. hat noch eine neue Regelvariante von Michail Antonow bekommen, mit der das Spiel auch funktionieren müsste. Wir versuchen die neue Variante und sind beide begeistert, weil sich das Spiel mit der neuen Regel zumindest beim ersten Versuch noch dynamischer spielen lässt.
Für den Rest des Tages hat J.P. ein Treffen mit seinem Kooperationspartner Bernhard Weber in Bonn verabredet. Bei Bernhard bekomme ich einen Prototypen für Kinder vorgestellt. Das Konzept ist schon sehr durchgearbeitet und wird bereits in enger Zusammenarbeit mit einem Verlag zur Produktionsreife gebracht. Es gibt noch einige technische Details zu klären, Tiefziehteile und akustische Momente, die im Spiel eine Rolle spielen, müssen diskutiert und abgestimmt werden, und die beiden Autoren sind vom Verlag aufgefordert, das Themenbrainstorming des Verlags zu kommentieren und noch eigene Ideen zur Spielstory zu entwickeln. Hierbei kann ich meine Erfahrungen zum Themenbrainstorming bei den Ravensburgern einbringen, und wir finden einige sehr schöne Vorschläge, die zur neuartigen Spielidee passen.
Am Freitag stellt mir Jens-Peter ein Spiel aus seiner Kooperation mit Maren Kruse vor. Ein von den Beiden entwickeltes „Max und Moritz“-Legespiel inspiriert zu neuen Ideen für Bilderbücher für Kinder im Vorlesealter. Wir reden über J.P.s Idee, dass die Spielregeln mehr ins Spiel integriert werden müssten und als Teil des Spiels bereits sehr früh im Entwicklungsprozess eine Rolle spielen sollten. Bei vielen Verlagen steht die Regelausarbeitung immer noch am Ende des Entwicklungsprozesses und kann dann schnell den Charakter einer Bedienungsanleitung annehmen. Welche Möglichkeiten bestehen, mit der Spielregel kreativ umzugehen, zeigt mir J.P. bei seinen Spielen „Piranha Pedro“ und „Nacht der Magier“. Auch für mich ist die Ausarbeitung der Spielregel ein wichtiger und kreativer Moment, der mir bei der Spielentwicklung sehr wichtig erscheint. Die gestalterischen Möglichkeiten und die Möglichkeit, die Spielgeschichte (Dramaturgie und Atmosphäre) bereits in der Spielregel einzuführen, führen meiner Meinung nach zu einem größeren Spielspaß.
Nach unserer Diskussion zeige ich J.P. meine neue Spielentwicklung. Es handelt sich um ein Legespiel zum Thema Sternbilder. Zur Zeit habe ich bei diesem Spiel eine echte Blockade, und ich bin froh, in unserem Gespräch ein paar hilfreiche Anregungen zu bekommen, in welche Richtung ich weiterentwickeln könnte. Am Nachmittag lerne ich Tom Laroche kennen, einen weiteren Kooperationspartner, mit dem J.P. das Spiel „New York 1921″ zum Thema Mafia und Spitzel entwickelt. Zuerst spielen wir jedoch eine Proberunde meiner „Räuberbande“. Wir diskutieren die Möglichkeiten, die in der Gestaltung des Spielbretts stecken und ich entdecke, dass sich in meinem Spiel noch einiges an Potential verbirgt. Räuberbande ist ein traditionelles Laufspiel mit einem symmetrischen Spielaufbau. Ein dynamischerer Spielablauf lässt sich durch Modifikationen des Spielfeldes sicher gut entwickeln.
Das „NY“-Spiel ist ein Lauf- und Bluffspiel, bei dem die strategischen Möglichkeiten noch weiter ausgearbeitet werden müssen. Der Bewegungsmotor des Spiels ist eine Auslage von kombinierten Bewegungs- und Aktionskarten. Das Spiel gefällt mir gut. Nach einer ersten Proberunde stellen wir fest, dass die Zusammensetzung der Bewegungsmomente noch nicht ganz stimmig ist und eine weitere Aktionskarte eingeführt werden sollte. Für eine zweite Proberunde fehlt mir die Konzentration, und so verlasse ich die Beiden und genieße noch ein wenig das sonnige Köln.
Am Samstag berichtet J.P. noch von den Veränderungen im NY-Spiel und dass die letzte Testpartie mit den geänderten Momenten gut verlaufen ist. Das Themenbrainstorming zum Kinderspiel mit Bernhard Weber in Bonn möchte J.P. gern erneut aufgreifen und mit mir in eine kreative Arbeitsphase gehen, um meine Ideen zu dem Spielumfeld und der Spielgeschichte noch weiter zu entwickeln. Ich habe Lust, ein bisschen meinen Bleistift zu schwingen, und so fertigen wir Skizzen zu meinen Themenfeldideen an und denken über technische Details und Lösungen zum Abstellen der Spielfiguren am Spielende nach. Auch die Möglichkeiten der akustischen Gestaltung bei der Spielentwicklung sind bei diesem Spiel besonders reizvoll, und ich hoffe für Jens-Peter und Bernhard, dass sich der Verlag auf diese Dinge bei der Umsetzung des Spiels einlässt.
Zur Entspannung spielen wir zwei Partien „Fire & Ice“ in der neuen Regelvariante. Danach zeigt mir J.P. einen seiner frühen Prototypen, der seit einigen Jahren im Schrank schlummert und noch keinen Verlag gefunden hat. Jens-Peter erzählt, dass er noch einige Projekte hat, an die er glaubt und die irgendwann auch noch einmal angegangen werden sollen. So geht es wohl jedem Spieleautor, der seine Babys in Kästen verstaut im Regal stehen hat. Mir gefällt das Spiel sehr gut. Es ist eine Spinne, die in ihrem Netz sitzt, und durch Ziehen und Stecken der Beine in eine durchbohrte Plexiglasplatte ihren Körper bewegt und so Insekten jagt. Das besondere sind die mit Gummibändern versehenen Beine, die ein physisches Kraftmoment ins Spiel bringen, durch das sich die Spinne bewegt. Das Erleben und Abschätzen der Zugkraft scheint mir ein besonderes Spielmoment für Kinder, und so diskutieren wir die Möglichkeiten der Umsetzung des Spiels für eine spezielle Zielgruppe. Danach zeigt mir Jens-Peter noch sein mit Kirsten Becker entwickeltes Spiel „Auf Zack“ sowie „Aronda“, ein abstraktes 2 Personenspiel, das er mit Michail entwickelt hat. Bei einem gemeinsamen Kaffee im Restaurant um die Ecke spielen wir dann noch sein Kartenspiel „Loop“, das bei einem indischen Verlag erscheinen wird.
Die vier Tage in Köln waren sehr intensiv. Mit Jens-Peter ist mir ein Mensch begegnet, der bei seiner Arbeit als Spieleautor sehr in Kooperationen denkt. Er versteht es, die Stärken und Schwächen seiner eigenen Ansätze mit seinen unterschiedlichen Kooperationspartner zu kommunizieren und so eine gemeinsame Kreativität zu organisieren, durch die sich sehr unterschiedliche Spielansätze entwickeln können. Wir haben uns, so glaube ich, auch gut ergänzt, und unsere spielerischen Ansätze sind sich in einigen Punkten ähnlich. Diese Übereinstimmungen haben zu einer intensiven und kreativen Atmosphäre beigetragen. Ich freue mich schon darauf, mit Jens-Peter, in der Jury für den nächsten Preisträger des Stipendiums zusammen zu arbeiten. An dieser Stelle noch einmal vielen Dank für die Bereitschaft und das Einlassen auf einen Neuling.
Uwe Martin