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Auf der Empfehlungsliste Spiel des Jahres: Switch & Signal

Eine Modelleisenbahn, eine Modelleisenbahn! Was heute als Hobby älterer Männer verschrien ist, wollten wir Kinder der 70er- und 80er-Jahre unbedingt haben. Was wegen des Altersunterschieds paradox klingt, ist es am Ende gar nicht, schließlich sind aus uns Kindern längst ältere Männer geworden. Nur unsere Eisenbahn haben wir immer noch nicht. „Zu teuer!“, sagten Mama und Papa damals. Und dachten insgeheim: Der kriegt an den Reglern doch nichts geregelt.

Die verspätete Erlösung naht in Gestalt eines Brettspiels. „Switch & Signal“ ist genau das, was die Modelleisenbahn zu sein versprochen hatte, nur ohne Strom. Auf einem Liniennetz, das wahlweise Mitteleuropa oder Nordamerika überzieht, sind mehrere Züge gleichzeitig unterwegs und sollen Waren von hier nach dort bewegen. Was genau, bleibt offen. Vielleicht Heidelbeeren aus Marokko, Palmöl aus Indonesien, Dünger aus Belarus. Was der Wohlstandswesten eben zu brauchen glaubt. Und weil wir den fragwürdigen Kram ganz umweltfreundlich auf Schienen transportieren, fühlen wir uns supergut dabei.

Das Problem: Mama und Papa hatten recht! Zwar gibt es keine Regler, doch geregelt kriegt man es trotzdem kaum. Zu viele Züge fahren auf einmal, werden an falsch geschalteten Signalen jäh ausgebremst oder biegen an Weichen in idiotische Richtungen ab. Wer am Zug ist, darf mit seinen Aktionskarten auf das Geschehen einwirken und Loks, Signale und Weichen im gewünschten Sinne beeinflussen. Oft hat man sogar zwei bis drei gute Optionen – bei dummerweise drei bis vier kritischen Brandherden.

Die Bahn kommt – nur wohin? Dies entscheiden die Spielenden gemeinsam in „Switch & Signal“

„Switch & Signal“ ist ein kooperatives Spiel. Wir dürfen uns ständig beratschlagen. Und das tun wir. Und wie! Deutschland ist nämlich nicht nur ein Land mit Millionen Bundestrainern und Virologen, sondern auch ein Land mit Millionen Eisenbahnern. Jeder meint am besten zu wissen, wie die Züge zu lenken und Unfälle auf den Gleisen zu vermeiden wären. Ein ungeplanter Halt an einem Fehlsignal geht ab und zu in Ordnung, der frontale Crash zweier Züge jedoch verursacht so viel Strafe, dass die Partie anschließend kaum noch zu gewinnen ist.

Um es uns leicht zu machen, könnten wir vorrangig Bummelzüge einsetzen; die Bahn macht das schließlich auch. Die zockeln dann langsam ihrem Ziel entgegen. Und wenn sie eines Tages ankommen …ist die Partie längst gestorben. „Switch & Signal“ verlangt Effektivität. Um nicht dauernd Karten für Weichenschaltungen zu verplempern, schicken wir besser mehrere Züge direkt hintereinander über dasselbe Gleis. Schlauerweise den potenziell schnelleren zuerst. Ob er tatsächlich schneller fährt, wird sich zeigen, denn darüber entscheiden Würfel. Der Sprinter hat auf seinem zwar die höheren Augenzahlen, doch nicht immer würfelt man diese.

Ist am Ende des Spielzugs endlich alles gesagt und tatsächlich auch von jedem und sind die schlimmsten Horrorszenarien hoffentlich gemeinsam abgewendet, schlägt die große Sekunde des Kartenstapels: Ein Ereignis wird aufgedeckt. Irgendwelche Güterzüge geben nun noch mal extra Gas oder kommen an willkürlichen Bahnhöfen neu ins Spiel. Die Anweisungen sind mitunter so haarsträubend, dass man ihnen mit derselben Fassungslosigkeit gegenübersteht wie realen verkehrspolitischen Entscheidungen. Aber nicht mit derselben Ohnmacht. Geübte Gruppen werden den Chaosfaktor bald zu zähmen wissen und so planen, dass die Karten vom Stapel statt zu schaden sogar helfen.

Die Gleichzeitigkeit der vielen Ereignisse und Gefahren fordert heraus und kann auch anstrengen. Auf der anderen Seite verleihen die Unberechenbarkeit von Würfeln und Ereigniskarten dem Spiel auch Leichtigkeit. Falls hinterher ein Untersuchungsausschuss das Scheitern aufzuarbeiten versucht, kann man sein Versagen jedenfalls problemlos auf die äußeren Umstände schieben. Die Aufgabenstellung in „Switch & Signal“ ist sehr innovativ und vermittelt ein neuartiges Spielgefühl. In dieser Form ist Modelleisenbahn altersunabhängig hip.

Udo Bartsch