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Aus dem Kindlichen schöpfen: „Speedy Roll“- Autor Urtis Šulinskas

Wer will, dass Kinder spielen, ist gut beraten, mit Kindern zu spielen. So einfach ist es manchmal und doch so schwierig. „Wenn man für Kinder Spiele entwickelt, sollte man die Fähigkeit haben, wie sie zu denken“, sagt Urtis Šulinskas: „Man muss ihre Weltsicht verstehen, ihr Wertesystem. Dann hat man die Chance, etwas Universelles zu erschaffen.“ Der Litauer weiß, wovon er spricht. Und er weiß, was er tut: Sein „Speedy Roll“ ist das Kinderspiel des Jahres 2020.

Erfinderwerkstatt Sommercamp

Šulinskas’ Verständnis für seine junge Zielgruppe kommt nicht von ungefähr: Seit mehr als 20 Jahren organisiert und betreut er Sommercamps für sie. „Ich habe festgestellt, dass die beste Art, wie Kinder etwas lernen, das gemeinsame Spielen ist“, erzählt er. Also dachte er sich Sachen aus, an denen sie Spaß haben könnten: „Unbewusst war ich schon lange Spieleentwickler, ohne dass ich dabei überhaupt an Brettspiele gedacht habe.“ Wobei er selbst lieber von „Schöpfungen“ als von „Entwicklungen“ spricht.
Den Schöpfungen dieses sehr fröhlichen, dabei angenehm leisen Zeitgenossen merkt man die Herkunft aus dem freien Spiel an, ob man nun wie bei „Speedy Roll“ einen Ball über den Tisch rollt, um damit nach dem Klettprinzip Gegenstände aufzusammeln, oder sich in „Planet“ die Welt so macht, widdewidde wie sie einem gefällt, oder in „Emojito!“ Grimassen schneidet, um Gefühle darzustellen. Mit diesem Gesellschaftsspiel, einem seiner ersten, war Šulinskas 2018 schon einmal für das Kinderspiel des Jahres nominiert – unterlag aber Lena und Günter Burkhardts „Funkelschatz“. Er erinnert sich: „Damals habe ich mir mehr als diesmal Gedanken darüber gemacht, dass ich gewinnen könnte. Aber generell waren in beiden Jahrgängen so viele gute Spiele nominiert; da war ich einfach froh, dabei zu sein und dass mehr Menschen auf diese Spiele aufmerksam gemacht werden.“
Beim Spiel steht für ihn das gemeinschaftliche Erleben im Vordergrund: „Aber besonders mag ich die seltenen Momente während des Spiels, wenn man kurz einen Hauch von Genie spürt, wenn zum Beispiel bei einem Kommunikationsspiel eine echte Verbindung entsteht.“ Und manchmal zeigt sich der geniale Funke der Schöpfung in einem Ball, an dem wie von Zauberhand Gegenstände kleben bleiben.

Spielen ist eine Weltsprache

Gute Spiele kennen keine Ländergrenzen, davon ist er fest überzeugt, und „Speedy Roll“ ist ein sehr gutes Beispiel: entwickelt von einem Litauer, verlegt beim russischen Verlag Lifestyle Boardgames, vom Wiener Verlag Piatnik lizensiert und schließlich in Deutschland mit höchsten Weihen ausgezeichnet. „Dafür bin ich sehr dankbar“, sagt Šulinskas, „dass es keine Rolle spielt, ob der Autor nun aus den USA, Japan oder – wie in meinem Fall – aus Litauen kommt. Wenn das Spiel an grundlegende Menschlichkeit appelliert, wird man Unterstützung bekommen. Da sind alle Menschen, die mit Spielen zu tun haben, ein großes Team.“ Es sei einfach schön, Teil dieser weltweiten Community zu sein, sagt er: „Ich bin immer noch erstaunt, wie international und wie hilfsbereit sie ist.“

Stefan Gohlisch

Dieser Artikel erschien zuerst in der „Spiel doch“, Ausgabe Herbst/Winter 2020. Abdruck mit freundlicher Genehmigung des Nostheide-Verlags.