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Herzblutspiele ohne Mehrheiten

Nominierungen und Empfehlungslisten – sie sind das Ergebnis interner Diskussionen und Beratungen. Die Spielerfahrungen und Meinungen einzelner Juroren münden in ein Resultat, hinter dem eine Gruppe steht. Die Jury Spiel des Jahres. Wir. Jahr für Jahr starten wir einen demokratischen Prozess, an dessen Ende der bestmögliche Kompromiss steht. Ein Kompromiss, der mitunter leider auch Herzblutspiele schluckt. Meine Herzblutspiele. Eine ganz persönliche Hommage an sechs Spiele, die es leider nie auf eine unserer Listen geschafft haben. Und die trotzdem ein gutes Weihnachtsgeschenk wären.

Trotzig? Ich? Eigentlich nicht. Mitunter erlaube ich mir aber den Spaß, ein Skull King zur Klausurtagung mitzubringen. Zur alljährlichen Tagung im Mai, bei der wir über die Nominierungen und empfehlenswerte Spiele abstimmen. Ich stelle die kleine Schachtel dann zu den Spielen, über die wir beraten wollen – und ernte Lacher mal aus Mitleid, mal aus Spaß. Mittlerweile ist Skull King von Brent Beck zwar zu alt, um es für eine aktuelle Liste in Betracht zu ziehen. Aber es hilft mir, meine anhaltende Enttäuschung über die Nichtberücksichtigung dieses genialen Kartenspiels zu verarbeiten. Schnief!

Skull King, welches das Prinzip von Wizard perfektioniert hat, ist nämlich mein Lieblingsspiel. Vorgestellt auf der Spielwarenmesse 2014. Damit war es gemäß unserer Regulären wählbar in den Jahren 2014 und 2015. Beide Male habe ich um den Oberpiraten gekämpft, beide Male war meine Crew zu schwach. Bedeutet: Die Unterstützung bei der Abstimmung zu gering. Ich habe die Stichansage gemacht und sie quasi vergeigt. Das Yo Ho Ho ist mir im Halse stecken geblieben.

Aber warum? Über Argumente, Gegenargumente und Abstimmungsergebnisse schreibe ich hier nichts, denn diese Informationen bleiben intern. Der Grund, warum ein Spiel bei uns unerwähnt bleibt, lässt sich offiziell deshalb auf einen schlichten Nenner bringen: Es hat einfach keine Mehrheit für das Spiel gegeben. Gleichwohl lässt sich vermerken, dass hinter jeder finalen Liste intensive Debatten stehen. Und ich muss zugeben: Nicht nur ich musste in der Vergangenheit damit fertig werden, ein Herzblutspiel nicht durchgebracht zu haben. Was natürlich auch mal an meinem Veto lag. So ist das nun einmal, wenn jeder einzelne Juror seine individuelle Messlatte anlegt und zudem unterschiedliche Erfahrungen mit einem Spiel in seinen Spielgruppen macht.

Aber mal unter uns: Was sind das für Spielegruppen, die bei einem Juror nicht den Impuls auslösen, für Richard Garfields King of Tokyo zu votieren? Sind die eingeschüchtert von The King? Oder von Cyber Bunny? Sind den Leuten die Energiesteine ausgegangen, um ihre Monster in diesem emotionalen Haudrauf-Würfelspiel mit erfolgreichen Effekten zu stärken? Oder haben sie zu viel Haue in Tokyo bekommen? Aber halt! Keine Polemik, kein Nachkarten bitte. Wir sind schließlich in der Vorweihnachtszeit und ich bin dankbar, hier ein wenig außerhalb des offiziellen Protokolls ausplaudern zu dürfen. „O du fröhliche …“ Oh, vielleicht ist das gerade vor der „King of Tokyo“-Kulisse das falsche Lied.

Besser summe ich mal „Über sieben Brücken musst du geh’n“. Wo? Zum Beispiel in Venedig. Und damit wären wir bei Rialto. Ein Kennerspiel, das zuerst durch sein fantastisches Cover auffällt und dann durch einen reizvollen Mehrheitenmechanismus. Was habe ich mir den Mund fusselig geredet, um für dieses (aktuell nicht mehr erhältliche) Spiel von Stefan Feld zu werben. Ohne Erfolg, aber mit ungeahnten Folgen für dem weiteren Verlauf der Klausurtagung. Aber hier greift wieder das Wort von oben: intern. Es wäre auf jeden Fall ein Thema für meine Memoiren – wobei ich derzeit keinen Anlass sehe, diese zu verfassen.

Solche würde ich indes gerne einmal von Wolfgang Kramer lesen. Der Grandseigneur unter den Spieleautoren und Rekordhalter bei „Spiel des Jahres“-Titeln hätte sicherlich viel zu erzählen. Etwa die Hintergrundgeschichte von Abluxxen. Ein Kartenspiel, das er gemeinsam mit Michael Kiesling entwickelt hat, gemeinsam mit dem Autor des aktuellen Spiel des Jahres. Im Gegensatz zum wirklich großartigen Azul ist Abluxxen allerdings oft unterschätzt worden. Auf den ersten Blick mutet dieses Kartenspiel wie ein simples Ablagespiel an, doch dank der ungewöhnlichen Klau-Regel ist es viel tiefgründiger.

Klauen und tiefgründig? Damit kriege ich die nächste Überleitung hin, denn: Wenn ich eine Nuss in hohem Bogen tief auf den Grund eines gegenüberstehenden Bechers fliegen lasse, klaue ich diesen einem Mitspieler einen Becher. Und das ist im Geschicklichkeitsspiel Crazy Coconuts gut so. Zumindest für mich – auf dem Weg, als Erster ein eigene Becherpyramide zu stapeln. Highlight des Spiels sind die Katapulte in Form von Affen, die die Nüsse nicht nur in Becher fliegen lassen, sondern überall hin. Wahrscheinlich war die Klausurtagung, als wir über dieses Spiel gesprochen haben, die bewegungsintensivste in der Geschichte der Jury. Weil wir immer wieder auf den Boden krabbeln mussten, um fehlgeleitete Nüsse zu suchen. Wieder daneben. Und noch einmal. Und noch mal.

Noch mal? Noch mal! Was für ein selbstbewusster Titel für ein Spiel. Aber ein Titel, der vollkommen zurecht gewählt wurde. Denn Noch mal! war im Jahr seines Erscheinens das Spiel, das ich am häufigsten gespielt habe. Inka und Markus Brand haben mit diesem Roll & Write eine Ankreuzaufgabe erschaffen, die immer wieder einlädt, ein noch besseres Ergebnis als zuvor zu erzielen. Noch heute jage ich regelmäßig meinen Highscore – mittlerweile allerdings in der App. Gegen den Virus, mit dem ich infiziert wurde, zeigte sich die Mehrheit der Jury jedoch immun. Schade!

So, jetzt habe ich diesen Spiel-des-Jahres-Spielraum für eine persönliche Betrachtung missbraucht. Sorry, liebe Kolleginnen und Kollegen. Ich mach’s wieder gut und lade euch auf der nächsten Klausurtagung zu einer Runde Skull King ein. Yo Ho Ho! Jetzt aber erst einmal: Ho Ho Ho! Frohe Weihnachten!

Karsten Grosser