92 Liter Bier trinkt – rechnerisch – jeder und jede Deutsche im Jahr. Von daher ist „Bier Pioniere“ (Thomas Spitzer bei Spielefaible) vermutlich dichter an der Lebensrealität der meisten Spieler:innen als selbst die epischste Schlacht in fernen Fantasy-Welten. Unsere Jurymitglieder haben sich tief in das Aroma von Hopfen, Wasser und Malz begeben, um herauszufinden, ob sich hinter dem Spiel eher seichte Plörre oder vielleicht doch eine hocharomatische Hopfenkaltschalte verbirgt.
„Mechanisch gesehen ist ‚Bier Pioniere‘ Figureneinsatz“, erklärt Udo Bartsch das Spiel. „Jede:r besitzt zwei Figuren mit den Werten eins und zwei, reihum setzen wir auf freie Aktionsfelder und führen die Aktionen aus. Unsere Figuren können wir aufwerten, bis zu einem Wert von vier. Das ist relevant, weil auch jedes Aktionsfeld einen Wert hat, und ergibt die Addition aus Feldwert plus Figurenwert mindestens sechs, erhalte ich eine Bonusaktion“, schreibt Bartsch. „Ich beginne den Brauvorgang, indem ich einen Anzeigestein für die entsprechende Biersorte einsetze. Zu Spielbeginn kann ich ausschließlich Altbier brauen, wertvollere Sorten muss ich erst freischalten. Die Anzeige wird auf einen Wert zwischen drei und sieben eingestellt. Das ist die Dauer an Runden, bis das Bier fertig ist. Errungenschaften meiner Brauerei können dafür sorgen, dass der voreingestellte Wert möglichst niedrig ist. Anschließend reift das Bier. Ich kann abwarten, wie es Runde für Runde gärt und irgendwann von allein fertig ist. Üblicherweise aber herrscht Eile und ich treibe den Prozess über Aktionsfelder oder Bonusaktionen voran. Um wie viele Schritte ich meine Brauanzeiger pro Aktion weiterdrehen darf, hängt wieder von meinen Errungenschaften ab. Parallel zur Bierherstellung strebe ich also an, meine Brauerei auszubauen.“
„Alles in ‚Bier Pioniere‘ ist stark miteinander verwoben, das Spiel ist ein feines Geflecht aus Hauptaktionen, Bonusaktionen und Karten“, findet Udo Bartsch. Wichtig sei vor allem Timing. „In ‚Bier Pioniere‘ erlebe ich eine ständige Zerrissenheit, in welcher Reihenfolge ich was abwickle und welche meiner Figuren ich dazu wie früh wohin setzen muss.“ Für Bartsch ist „Bier Pioniere“ ein sehr variables Spiel. „Selten habe ich bei einem Spiel meine Meinung über die Stärke bestimmter Vorgehensweisen und bestimmter Ausbauten so häufig geändert wie bei ‚Bier Pioniere‘“, schreibt er. „Immer wieder haben mich Verläufe überrascht.“ Das Thema sei „ein großer Pluspunkt“ des Spiels, da sich deshalb aus der „Masse der austauschbaren Eurogames“ heraushebe. „Nicht so überzeugend fand ich lediglich jene Partie, die jemand gewann, ohne je eine Biersorte freizuschalten. Spielmechanisch ist daran nichts auszusetzen, aber thematisch wirkt es für mich unstimmig.“ Zwar sei „Bier Pioniere“ „mal wieder ein Optimierungsspiel, bei dem es darum geht, bei etwaigen Ketteneffekten das Maximale herauszuholen“ und dabei nicht unbedingt „mechanisch hochoriginell“. Dennoch wünscht Bartsch sich „viele Wiederholungspartien“, schreibt er. „Gerade die kleinen, aber feinen Abwandlungen des bekannten Figureneinsatzes üben einen großen Zusatzreiz aus. Jeder Zug kribbelt, denn jeder Zug fühlt sich entscheidend an. Überdies bringt jeder Zug einen Fortschritt. Ich wachse, ich entwickle, ich braue.“ Insgesamt findet Bartsch das Spiel „außerordentlich rund“.¹
Julia Zerlik ist erklärtermaßen „überhaupt kein Bierfan“. Dennoch gefällt ihr der Spielmechanismus von „Bier Pioniere“ sehr. Für sie fühle sich das Brauen „realistisch“ an. Das gut umgesetzte Thema mache es „einfach, das Spiel zu erklären“. Auch die Möglichkeiten, sich im Spiel auf verschiedene Weisen zu „verbessern“, gefallen ihr „richtig gut“. Punkte seien in „Bier Pioniere“ „schwer zu bekommen“. Das Spiel ähnele einem Wettrennen an, das am Ende oft knapp ausgehe. „Das war immer sehr spannend“, sagt sie. „Man muss gut gucken: In welcher Reihenfolge mache ich was? Die Plätze mit den Aktionen sind sehr knapp.“ Bestimmte Aktionen oder Aktionskombinationen seien allerdings generell sinnvoller als andere. „Dadurch passiert es, dass man immer das gleiche macht.“ Nur das Bierbauen könne in „Bier Pioniere“ in den Hintergrund rücken. „Ich habe schon Partien gewonnen, da habe ich nur zweimal ein Bier gebraut“, sagt Zerlik. „Das finde ich ein bisschen schade.“ Weniger störend sei die etwas blasse Gestaltung. Ihr Fazit: Spielmechnisch und thematisch sei das Spiel „richtig gut“.²
Tobias Franke ist unzufrieden mit der Anleitung von „Bier Pioniere“. „Wir wissen noch grob, dass diese oder jene Zusatzregel besteht, aber wo finde ich denn nochmals deren Erwähnung in der Anleitung? Auch das anfängliche persönliche Material liegt zu Beginn etwas ratlos vor uns, weil wir nicht anschaulich erklärt bekommen, welches nun in einen persönlichen Vorrat wandert.“ Ähnlich verhalte es sich mit den Karten-Aktionen. „Es fehlt so etwas wie ein Glossar, in dem einzelne Karten nochmals ausführlich erklärt werden.“ Es gebe zwar ein solches Glossar für einzelne Persönlichkeiten auf den Karten, schreibt er. Das bette „das Spiel gut in seinen geschichtlichen Anspruch ein. Für den Spielablauf wäre es aber förderlicher, wenn stattdessen lieber aufkommende Fragezeichen in den Köpfen aufgelöst worden wären.“
Spielerisch überzeuge ihn „Bier Pioniere“ allerdings auf ganzer Linie. „Durch die griffige Thematik erklärt sich vieles von selbst. So ist es logisch, dass mein Laster nur für die Lieferung oder das Fass-Management genutzt werden kann. Das Ansetzen neuer Biere oder die Weiterbildung meiner Angestellten funktioniert dahingegen nur über ausgebildete Arbeiter.“ Zentrum des Spiels sei das Timing, das maßgeblich durch das Bonus-System beeinflusst wird, „was einen eigenen Mikrokosmos des Spiels darstellt“. Er habe dauernd das „Gefühl, dass ich in der Runde unbedingt noch dieses oder jenes machen muss, dafür das Personal aber nicht ausreicht. Also muss ich mich beschränken und ich muss Prioritäten setzen – und das immer in Abhängigkeit zu den Spielzügen meiner Mitspielenden.“ Ein wenig Kartenglück sei dabei. „Allerdings sind wir diesem nicht ausgeliefert. Durch die dreifache Möglichkeit, eine Karte nutzen zu können, erschließen sich mir immer ausreichend Alternativen“, schreibt Franke. Am Ende sei „Bier Pioniere“ ein Spiel mit hoher Varianz sowie „ein überzeugendes Kennerspiel, welches vor allem von der gelungenen thematischen Einbettung lebt“.³
Michaela Poignée findet, im Gegensatz zu Tobias Franke, die Anleitung gut geschrieben. „Man kommt wirklich sehr gut rein in das Spiel“, sagt sie. Auch die Regeländerungen für zwei oder drei Spieler:innen seien „sehr gelungen“. Überhaupt bewertet Poignée das Spiel insgesamt sehr positiv. „Ich mag das Spielmaterial, ich mag das Thema.“ „Bier Pioniere“ sei ein „Mangelspiel, gefühlt hat man immer zu wenig Geld“, sagt sie. „So ist es immer wieder ein Abwägen: Was mache ich? Hole ich mir interessante Karten für Effekte, die ich ausspiele oder interessante Lieferungen?“ Für Poignée ist „Bier Pioniere“ von daher ein Spiel, bei dem sie jedes Mal wieder überlegen muss: Wie bringe ich meine Maschinerie zum Laufen?“ Denn die sei nötig, um die nur 20 Siegpunkte hinzubekommen. „Nach hinten raus geht es dann schnell.“ Ihr mache das Spiel „viel Spaß“, es passe „alles thematisch richtig gut“. Ihr Fazit: Ein Kennerspiel, das „viele schöne Entscheidungen“ von ihr verlangt.⁴
Manuel Fritsch findet, „Bier Pioniere“ sei „klassisches Worker Placement mit ein paar neuen Kniffen“, gerade die spezialisierten Spielfiguren und die Möglichkeit, diese hochzuleveln haben es ihm angetan. „Das macht das ganze schon anspruchsvoller“, sagt er und fühlt sich von dem Spiel vor „knifflige Entscheidungen“ gestellt. „Dieses Spiel ist ein Paradebeispiel dafür, die alle paar Minuten eine spannende, eine gute, wegweisende Entscheidung zu präsentieren ohne dabei zu verkopft zu werden“. Außerdem seien dem Spiel „Flow und Rhythmus“ gut gelungen. „Wann mache ich was? Wie optimiere ich alles, damit es schön ineinandergreift?“ seien entscheidende Fragen, vor die man beim Spielen gestellt würde. „Da das perfekte Timing zu finden macht mir viel Spaß“. Auch, dass hier mit 20 Siegpunkten um vergleichsweise wenig Punkte gespielt würde, findet Fritsch „erfrischend wie ein Pils“. Einen Nachteil an dem Spiel findet er, dass der Erfolg doch ein wenig vom Kartenglück abhinge. Das ließe sich zwar ausgleichen, aber: „Mit dem Kartenglück kommen die passenden Aufträge“, sagt er. „Aber das gehört zu so einer Art von Spiel auch dazu.“ So oder so findet Fritsch: „Es ist ein ganz, ganz heißes Wettrennen.“ Man hätte zwar nicht unbedingt „das Gefühl man ist ein Bierbrauer. Es ist ein Wirtschaftswettrennen. Das könnte nahezu fast alles sein.“ Dennoch: Eine „absolute Empfehlung“, urteilt Fritsch. „Es macht mir sehr viel Spaß, dieses Spiel zu spielen.“⁵