Neuland zu entdecken ist natürlich eine schöne Sache – bringt aber auch das Problem mit sich, dass dieses Neuland vernünftig dokumentiert sein will, sonst glaubt es einem keiner. Und wie dokumentiert man? In „Der Kartograph“ (Jordy Adan bei Pegasus Spiele) auf die ganz althergebrachte Weise. Mit Zettel und Stift haben sich die Kritiker und Kritikerinnen unserer Jury auf den Weg ins unbekannnte Gebiet gemacht. Haben sie dort beeindruckende Berggipfel gefunden oder doch nur ein mittelmäßiges Mittelgebirge? Unsere Kritikenrundschau.
„Ein leeres Fleckchen Erde liegt vor uns auf dem Tisch – in Form eines Zettels“, erklärt Christoph Schlewinksi in seiner Rezension das Spiel. „Ein paar Gebirge sind schon zu sehen, durchaus auch ein paar Ruinen, aber ansonsten: Leere! Die wollen wir füllen (immerhin heißt das Spiel ‚Der Kartograph‘) und das gelingt uns, indem wir dort Geländearten einzeichnen. Welche, das wird uns von einem Kartenstapel vorgegeben.“
„Der Kartograph“ erinnert Schlewinksi an „Isle of Skye“. In ähnlicher Weise lägen am Anfang vier zufällig gezogene Punktekarten aus. „Immer zwei davon werden pro Runde gewertet. In Runde eins A+B, in Runde zwei B+C usw. Jede Karte zweimal während des Spieles. Da muss man in jeder Partie genau hingucken, mal dürfen sich Wasser und Getreidefelder nicht berühren oder Wald zählt am Zettelrand Punkte oder Gebirge müssen verbunden werden“, schreibt Schlewinski.
Neben den Landschaften sind im Kartenstapel auch noch Ruinen zu finden, die uns zwingen, die nächste Geländeart über ein Ruinenfeld zu zeichnen. Das wird natürlich schwieriger, je voller der Zettel wird und sollte man irgendwann nichts einzeichnen können, muss man mit einem traurigen Feld vorlieb nehmen (was aber nicht schlecht sein muss). Und noch etwas wartet in den Untiefen des Kartenstapels auf uns: Monster! Schröckeliche, blutrünstige Monster, die natürlich auch eingezeichnet werden müssen – aber auf dem Zettel der Gegner. Tauchen die Viecher auf, reicht man die Zettel im Kreis weiter und versucht, seinem Nachbarn die Monsterbande so ungünstig wie möglich zu platzieren, bekommt dann seinen Zettel wieder und ärgert sich, dass der Nachbar bei einem selber das Monster so dermaßen ungünstig platziert hat.
Daneben kann man durch Karten oder das Einkesseln von Gebirgen noch Goldmünzen abstreichen, die jede Runde Punkte bringen – ein Goldfass ohne Boden. Nach vier Runden ist Schluss und die schönste Landkarte bekommt … nichts. Nur die Erfolgreichste, und zwar den Sieg. Und das auch nur, wenn man vorausplanend malt.“
Die vorausplanende Malerei gefällt. „Sehr eingängig gemacht, mit guten Regeln, guten Beispielen“, meint Schlewinski. „Dazu gibt es von jedem Wertungstyp vier unterschiedliche Karten, man hat eine immer andere Ausgangslage. Manchmal sieht man nicht so recht, was auf den Zetteln der Mitspieler vor sich geht, weil nicht jeder mit der Gabe des sauberen Zeichnens gesegnet ist.“ Problematisch sei, wenn keine Karten gezogen würden, die Interaktion verlangten. „Ich hätte es selber nicht gedacht, aber ich habe einige Runden erlebt, in denen weder Ruinen- noch Monsterkarten gezogen wurden. Also gab es weder einen Zwang, etwas an einer speziellen Stelle einzuzeichnen, noch konnte man interagieren. Besonders in einer Partie ohne Monster (was selten ist) zeigt sich, dass ‚Der Kartograph‘ im Grunde ein solitäres Vor-sich-hinzeichnen ist, das zufällig mehrere Menschen an einem Tisch machen. Und jeder kann versuchen, sich seine perfekte Landschaft einzuzeichnen, ohne gestört zu werden. Ohne Ruinen und besonders ohne Monster verliert ‚Der Kartograph‘ also einen sehr wichtigen Aspekt, der das Spiel runder, spannender und auch interaktiver macht.“ Selbst in diesem Fall sei „Der Kartograph“ noch „ansprechende Malerei“, das dann allerdings nicht sein volles Potential entfalte. Fünf von sechs Würfelaugen vergibt Schlewinksi für das Spiel.¹
Besser mit Buntstiften
Udo Bartsch bespricht „Der Kartograph“ in einem langen und wortspielreichen Text. Die einzutragenden Gebiete müssten „wahre Alleskönner“ sein: „Sie sollen das Punktekonto bei der nächsten Wertung erhöhen, zugleich Belange späterer Wertungen strategisch vorbereiten, sie sollen die auf dem Plan vorgedruckten Gebirgsfelder umschließen, denn das bringt zusätzliches Geld. Und alle denkbaren Optionen für die Zukunft offenhalten sollen sie auch.
Was tatsächlich passiert, steht – möchte man sagen – auf einem anderen Blatt; aber leider steht es auf demselben. Auf genau dem Blatt, über dem man gerade schwitzend brütet und Probleme wälzt, etwa ob das geforderte T-Stück lieber als Wald eingetragen werden soll, weil der eine punkteträchtige Verbindung schafft, oder als Wasser, das perfekt ein Gebirge untermalt. Oder ob es sich lohnt, das Dorf weiter zu vergrößern, obwohl es nur noch in einer Wertung gefragt sein wird, oder die Priorität lauten sollte, Monstergrenzgebiete zu befrieden. Diese Fragen sind umso spannender, weil sich selten exakt vorhersehen lässt, wann genau eine Jahreszeit endet und ob man bis dahin noch eine oder zwei Landschaften malen wird.“ Kritik übt Bartsch am Spielmaterial: „Ohnehin bereiten die Bleistifte Mühe. Symbol um Symbol soll man damit für Wald, Dorf und Monster eintragen, obwohl Farbflächen wesentlich übersichtlicher wären. Auch um die Punktzahlen gut erkennbar auf den dafür vorgesehenen arg kleinen und offenbar aus atmosphärischen Gründen graubraun verwaschenen Feldern einzutragen, gäbe es geeignete Instrumente. Und noch besser wären geeignete Felder“, findet er. „Mehr noch aber kommt mir ein spezielles Detail unfair vor: Wer ein Gebiet regelkonform einzeichnen kann, muss es tun. Wer es nicht kann, malt ein beliebiges Gelände der Größe eins. Gegen Ende der Partie sind gezielt gesetzte Mini-Enklaven oft wertvoller als erzwungene Landschaften an erzwungener Stelle. Und das ist contra-intuitiv. Während Spiele mit Tetris-Teilen üblicherweise platzsparendes Einpassen belohnen, kann man sich bei ‚Der Kartograph‘ darauf nicht verlassen.“ Dennoch gefällt das Spiel: Dass vier Ziele gleichzeitig zu beachten sind, erhöht die innere Zerrissenheit. Dass sie in jeder Partie wechseln, schafft viele reizvolle Konstellationen. Jede Entscheidung fühlt sich wichtig an und der Schaffensprozess konstruktiv. Mit Übung klappt es besser, was die Motivation hochhält. Und mit Buntstiften klappt es noch besser“, meint Bartsch. Sieben von zehn Punkten erhält das Spiel von ihm.²
Etwas mehr Mühe
Harald Schrapers dagegen ist kein Freund der Buntstift-Idee, jedenfalls nicht in den ersten Partien von „Der Kartograph“: „Ich habe mich sehr gefreut, in dem Spielmaterial von ‚Der Kartograph‘ ein ganz besonderes Hilfsmittel zu finden, nämlich einen Radiergummi“, sagt er in seinem Podcast. So könne korrigiert werden. „Das ist ganz gut, weil das, was eingezeichnet werden muss, nicht so einfach nachzuvollziehen ist. Erst, wer geübter als Kartograph ist, hat Routine und könnte auch Buntstifte verwenden, damit das Eingezeichnete dann auch etwas übersichtlicher wird.“ Komplex erscheint Schrapers das Wertungssystem: „Das ist ganz schön tricky, was man hier werten lassen kann. Gut sind Sachen, die man einzeichnen kann und die in unterschiedliche Wertungen einfließen können. Dafür braucht man ein gut geplantes Timing, damit die Sachen immer genau dann fertig sind, wenn genau diese eine Wertung ansteht.“ „Der Kartograph“ sei allerdings ein sehr „solitäres“ Spiel, außer, wenn eben Monsterkarten aufgedeckt würden.
Schrapers’ Urteil fällt positiv aus: „‚Der Kartograph‘ ist ein Spiel, das mir wirklich gut gefällt. Ich hatte gedacht, nach ‚Ganz schön clever‘ hätte ich im Genre der Aufschreib-Spiele alles erlebt und jetzt könnte nichts mehr kommen“, sagt er. Besser als „Ganz schön clever“ sei „Der Kartograph“ dann aber nicht. Zu kritisieren sei die Kennzeichnung „Kenner“ auf der Packung. „Warnschild oder ein Kopfkissen zum Ausruhen für den Autor und die Redaktion?“, fragt Schrapers. „Ich jedenfalls hätte es begrüßt, wenn sich Autor und Redaktion Gedanken gemacht hätten, wie man aus ‚Der Kartograph‘ nicht nur ein Spiel für Kenner sondern für eine deutlich größere Zielgruppe machen kann.“ Er wünscht sich Vereinfachung und eine Kennzeichnung von für Einsteiger geeigneten Wertungskarten. „Die Mühe hätte man sich machen können.“³
Auch Stephan Kessler outet sich im Podcast mit Manuel Fritsch als Verfechter der Buntstifte: „Ich hole immer Buntstifte raus bei dem Spiel. Ich habe wirklich das Bedürfnis, dass diese Karte, die ich da vor mir habe auch schön aussieht“, sagt er. Aber auch sonst gefällt ihm das Spiel: „Da ist wirklich viel Abwechslung drin.“ Das fände er „reizvoll“. „Das ist wirklich etwas, wo ich mir im Vorfeld schon überlegen muss: Worauf werde ich spielen, was könnte gezogen werden? Ich muss mich da schon sehr dynamisch anpassen.“
Manuel Fritsch stimmt ihm dabei zu: „Ich kam mir nicht nur von der Mechanik getrieben vor, sondern hatte auch Spaß dabei“, meint er. „Der Kartograph“ sei „reizvolles Puzzlegame“ zur „Tetris-Puzzlelei“ käme dazu, „dass du stark drauf achten musst, was jetzt in dieser Runde für eine Wertungskarte ausliegt.“ Fritsch lobt vor allem die Monsterkarten. „Ansonsten wäre das Spiel sehr solistisch. Aber diese kleine Idee mit reinzunehmen hilft da wirklich.“ Es gäbe viele „Feinheiten“ zu entdecken, wenn man das Spiel öfter spiele. Das Spiel sei in jeder Konstellation gut, es gäbe keine Downtime. Sowohl Kessler als auch Fritsch sprechen eine Empfehlung aus.⁴
Die richtige Menge Extraregeln
Wie Julia Zerlik zum Thema „Buntstifte“ steht, verrät sie in ihrer Videorezension leider nicht, nutzt darin aber die beiliegenden Bleistifte. Zunächst, sagt sie, sei sie skeptisch gewesen: Sie sei kein großer Fan solcher Einzeichnen-Spiele. „Der Kartograph“ entpuppt sich allerdings als Ausnahme. „Und siehe da: Es hat mir sehr gut gefallen“, sagt Zerlik. „Es fühlt sich neuartig an, es ist mal was ganz anderes.“ Der Wertungsmechanismus gefiele ihr sehr gut. Es gäbe im Spiele viele Entscheidungen zu treffen und praktische Überlegungen anzustellen. „Die machen das für mich zu einem richtig guten Spiel weil es nicht nur auf diesen Zufall ankommt.“ Jeder hätte die gleichen Voraussetzungen und müsse das beste aus den Karten herausholen. Auch die Monsterkarten gefallen. Auch wenn Zerlik generell keine Freundin von „so fiesen Sachen“ sei, findet sie die Mechanik „sehr fein gearbeitet und gut überlegt“, auch weil es nur vier davon gäbe. Insgesamt sei „Der Kartograph“ sehr abwechslungsreich und ein „rundes Spiel. Es spielt sich sehr flott und ist immer wieder neu durch die verschiedenen Ziele und ist total schön gearbeitet.“ Zerlik ist „begeistert“, es gibt für sie „nichts zu bemängeln.“⁵
Martin Klein findet das Spiel in seiner Videorezension wiederum „ganz cool“ und spricht die Buntstiftfrage ebenfalls nicht an. Ihm macht „Der Kartograph“ „einfach Spaß, das ist ein nettes Puzzle zum Überlegen“, vor allem was die lang- und kurzfristigen Taktiken anginge, um Siegpunkte zu erlangen. Es gäbe außerdem „genau die richtige Menge Extraregeln“ – gemeint sind hier unter anderem die Monsterkarten. Auch den Timing-Mechanismus erwähnt Klein lobend. Insgesamt bleibt zu sagen:„Hat mir gut gefallen, spiele ich gerne weiter.“ Fünf von sechs Möglichen Sternen erhält „Der Kartograph“ bei Klein, ein sattes Grün also.⁶
„Obwohl die Regeln denkbar einfach sind, sind es die Entscheidungen selten“, schreibt Tim Koch. „Jede neue Karte wird bejubelt oder verflucht, über das eigene Pech und das Schicksal gejammert. Emotionen sind beim Kartographen garantiert, ebenso wie eine zweite und dritte Runde,“ so sein Urteil.⁷
Auch Bernhard Löhlein kann „Der Kartograph“ positives abgewinnen: „Der Herrscher will sein Land vermessen, da helfen wir doch gerne“ sagt er in seiner Radiosendung. „Klingt einfach, ist es aber nicht. Das Spiel verlangt höchste Konzentration.“ Es sei „emotional und verkopft gleichermaßen.“ ⁸
¹ H@ll9000: Der Kartograph
² Spielbox Heft 2/20: Grauzone
³ gamesweplay/brett-spiel.de: Der Karthograph
⁴ Insert Moin: Le Brett, November 2019 (kostenpflichtig)
⁵ Spiel doch mal…: Der Kartograph
⁶ Spielerleben: 19 Spiele im Oktober 2019
⁷Spielfreu(n)de: Der Kartograph
⁸ Radio IN, Spiel der Woche vom 18.4.2020