Zar Iwan IV. war – sein Beiname „der Schreckliche“ deutet es wenig subtil an – sicherlich nicht der angenehmste Zeitgenosse. Die Basilius-Kathedrale mit ihren beeindruckenden bunten Türmen allerdings, die in seinem Auftrag in Moskau erbaut wurde, gehört sicherlich zu den bekanntesten Bauwerken der Welt. Und wie es mit solchen Bauwerken nunmal ist: Irgendjemand muss sie ja auch bauen. In „Die Rote Kathedrale“ (Sheila Santos und Israel Cendrero bei Kosmos) sind die Spieler:innen Bauleute, die um Ruhm und Rohstoffe konkurrieren. Auch unsere Jurymitglieder haben Hammer, Meißel und Säge ausgepackt, um herauszufinden, ob sich der ganze Bau-Aufwand überhaupt lohnt.
„Wie es bei Großbauten häufig der Fall ist, wurden auch hier mehrere Bautrupps gleichzeitig angeheuert, und sie konkurrieren nun darum, als ruhmreichster aller Bautrupps ausgezeichnet zu werden“, erklärt Udo Bartsch das Spiel. „Ein Spielzug könnte darin bestehen, dass ich einen der noch nicht vergebenen Bauabschnitte für mich reklamiere. Oder bis zu drei Materialien zu meinen Bauabschnitten liefere (und bei Fertigstellung Punkte und Geld erhalte). Oder Materialien beschaffe und einlagere.
Die Materialbeschaffung ist der Kernmechanismus. Auf einem achtfeldrigen Rondell kreisen fünf Würfel. Um Ressourcen zu erhalten, setze ich einen Würfel um seine Augenzahl vorwärts. Die Multiplikation der Symbole des erreichen Feldes (beispielsweise zwei Holz) mit der Anzahl der nun hier versammelten Würfel (maximal drei) ergibt meinen Ertrag.
Jedem Feld ist außerdem eine von vier Sonderaktionen zugeordnet (in jeder Partie andere), die ich zusätzlich ausüben darf. Und: Im Laufe des Spiels werden meine Würfel weitere Eigenschaften annehmen. Dann kassiere ich vielleicht, wenn ich mit dem gelben Würfel ziehe, obendrein immer einen Ziegel, oder beim blauen Würfel auch den Ertrag des Feldes, auf dem gerade der rote Würfel liegt.“
„Obwohl nur die Wahl zwischen fünf Würfeln besteht, fällt einigen Mitspieler:innen die Entscheidung schwer“, schreibt Bartsch. „Die vielfältigen Folgen, die ein einziger Zug haben kann, überblickt man nicht so leicht.“ Das Sammeln sei von „Augenblicksentscheidungen“ geprägt. „Eine strategische Komponente kommt über die Mehrheitenwertung ins Spiel. Die Kathedrale besteht aus mehreren verschieden hohen Türmen, die abhängig vom Grad ihrer Fertigstellung bei Spiel-Ende Punkte ausschütten. Wer am meisten beigetragen hat, bekommt die volle Punktzahl, die anderen bestenfalls die Hälfte. Das kann gerade bei hohen Türmen ein großer Unterschied sein, weshalb die Mehrheiten umkämpft sind.“
Interessant ist für Bartsch an „Die Rote Kathedrale“, dass diese Mehrheiten „recht leicht angreifbar“ sind. „Außer mit langfristig reklamierten Bauabschnitten kann man sich nämlich auch mit kurzfristig angebrachten Verzierungen beteiligen. So kippen Führungspositionen oder jemand zeckt sich in ein Projekt ein und kassiert mit minimalem Aufwand ordentlich mit. Die Schlusswertung hat in meinen Partien mehrfach die vorherige Reihenfolge verändert.“
So ganz warm wird Bartsch mit dem Spiel aber nicht. „‚Die Rote Kathedrale“ ist eins von vielen Spielen, bei denen wir Rohstoffe sammeln und bauen“, schreibt er. „Die fürs Spielgefühl wesentliche Abweichung vom bekannten Muster besteht in der Rohstoffbeschaffung auf dem Rondell. Wie hier ein einziger Würfelzug viele Nebeneffekte und damit Zwiespälte auslöst, habe ich aber nicht als reizvoll empfunden, sondern als mühsam und überladen.“ Durch den Würfelmechanismus sei zu viel Zufall im Spiel und der eigene Zug kaum planbar. „In ‚Die Rote Kathedrale‘ hat weitgehend der Würfelzufall die Situation auf dem Brett geschaffen, nicht ich“, schreibt Bartsch. „Während die anderen am Zug sind, habe ich wenig zu tun und wenig zu planen. Erst mein eigener Zug reißt mich aus dieser Passivität.“ Es wirke, meint er, als sei hier ein einfacher Würfelmechanismus unnötig kompliziert gemacht worden, „in der Hoffnung, es werde dadurch reizvoller.“ Nicht zuletzt findet Bartsch „das kleinteilige Material unschön und unkomfortabel. Der Zählstein ist zu klein, die Zählskala ist zu klein, die Rohstoff-Ablage auf meinem Tableau ist zu klein.“¹
Bernhard Löhlein blickt ein wenig anders auf „Die Rote Kathedrale“: „Zunächst fällt einem das fantastische Material auf“, schreibt er. „Da macht es richtig Spaß, mit Holz, Stein oder Gold die verschiedenen Bauabschnitte fertig zu stellen oder mit Edelsteinen zu verzieren. Die „wundervolle Grafik“ erleichtere den Einstieg zu diesem „recht anspruchsvollen Strategiespiel.“ Der Würfelmechanismus öffne „dem Zufall Tor und Tür. Da ist der Handlungsspielraum etwas einschränkt.“ Dadurch ließe sich der eigene Zug „wenig vorausplanen. Gerade bei vier Spielern führt das zu längeren Wartezeiten. Und wenn der Würfel nicht fällt, wie ich es will, kann das schon frustrieren. Wer das aber in Kauf nimmt, wird seine Freude haben an diesem Wettstreit der ruhmreichsten Baumeister.“²
Auch Christoph Schlewinski und Julia Zerlik sind von „Die Rote Kathedrale“ eher überzeugt. Wann welche Rohstoffe für welche Bauabschnitte eingesetzt werden müssten, müsse gut geplant werden. Der Zufallsmechanismus des Rondells allerdings führe „zu gemischten Partien“, findet Zerlik. Manchmal flösse das Spiel sehr gut dahin. Manchmal wurde die Partie dadurch „ein wenig träge.“ Manche Partien seien aufgrund von Würfel- oder Rohstoffverteilungen ins Stocken geraten. „Die Gefahr von dem Rondell ist: Es gibt Downtime“, sagt sie. Ein Zug könne daher – je nach Spieler:in – recht lange dauern. Fünf Würfel müssten überblickt werden. „Ich kann aber erst mit dem Denken anfangen in dem Moment, in dem der vor mir fertig ist.“ Dennoch habe ihr das Spiel gefallen – beim ersten Mal sogar so gut, dass sie gleich noch eine Partie gespielt hätte. „Es gefällt mir immer noch gut“, sagt sie, „aber mir gefallen nicht alle Partien gleich gut. Manchmal hakt es einfach.“
Für Schlewinski ist die Übersichtlichkeit der Spieler:innentableaus ein großer Pluspunkt, der Rondellmechanismus sei für ihn neu. Durch den großen Zufallsfaktor könne dieser allerdings „Fluch oder Segen“ sein. Aus seiner Sicht macht „Die Rote Kathedrale“ nichts verkehrt. „Die Ausstattung ist schön, das Thema ist gut gemacht. Es hat viele unterschiedliche Herangehensweisen, viele unterschiedliche Mechanismen.“ Allerdings fehlt für ihn am Ende doch der ganz große Wiederspielreiz.³
Besagten Wiederspielreiz findet Manuel Fritsch in „Die Rote Kathedrale“. „Es ist ein absoluter Dauerbrenner bei uns geworden, alle wollen es spielen, mir wird auch nicht langweilig“, sagt er. Die Würfelmechanik findet er „innovativ, eingängig, aber auch clever.“ Große Wartezeiten zwischen den Zügen hat er nicht erlebt. Wobei es manchmal durchaus ein wenig dauern könne, bis man wieder drankäme, gerade, wenn der nächste Zug im Kopf schon fertig geplant sei. Ein großer Pluspunkt ist für ihn, dass das Spiel recht flexibel ist. „Es gibt relativ viele Faktoren, die jedes Mal anders sind.“ Gerade die Sonderaktionen könnten sich unterscheiden. „Aber das eigentliche Mindgame“, sagt Fritsch, „ist das Mehrheitenspiel.“ Bei welchen Türmen lohne es sich einzusteigen? Welche Mehrheiten könne man eventuell mit Verzierungen noch kippen? „Da steckt schon wirklich sehr viel Spiel drin in dieser kleinen, süßen Schachtel“, meint er. „Mir gefällt es ausgesprochen gut.“⁴