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Kritikenrundschau: Endless Winter – Materialschlacht in der Eiszeit

Draußen wird es Frühling – auf dem Spieltisch herrscht aber Eiszeit. Jedenfalls in „Endless Winter“ (Stan Kordonskiy bei Pegasus / Frosted Games / Fantasia). Und da gibt es eine Menge zu tun: Jagen, sammeln, beten, vor allem aber: Siegpunkte anhäufen. Unsere Jurymitglieder hat sich in ihren jeweiligen Medien in Felle gehüllt und die eiskalte Welt auf dem Spielbrett erkundet.

„In einem Eiszeit-Szenario sammeln wir Siegpunkte. Der Hauptmechanismus ist Personaleinsatz. Wir haben aber nur drei Figuren und setzen sie nur viermal ein. Pro Person umfasst die Partie also zwölf Züge; die allerdings sind mehrteilig“, erklärt Udo Bartsch das Spiel. „Auch Deckbau und Handmanagement sind Elemente in ‚Endlesse Winter‘. Nachdem ich meine Figur auf dem Spielplan eingesetzt habe, unterstütze ich die ausgelöste Aktion mit passenden Handkarten. Beispielsweise gibt es die Aktion ‚Jagen‘, wofür ich Werkzeug und Arbeitskraft benötige. Ein von meiner Hand gespielter ‚Jäger‘ bringt mir für die Jagd besonders viel Arbeitskraft. Ich könnte den Jäger auch bei anderen Aktionen einsetzen; dann wäre er aber weniger stark. Außer Jagen gibt es auf dem Spielplan noch drei weitere Aktionen: Beim ‚Einweihen‘ erwerbe ich weitere Stammeskarten und entsorge ungeliebte. Beim ‚Entwickeln‘ erwerbe ich Fortschrittskarten mit attraktiven Effekten. Fortschrittskarten darf ich unabhängig von der gewählten Aktion in meinem Zug zusätzlich ausspielen. Und mit ‚Weiterziehen‘ bewege ich meine Einheiten auf dem Geländespielfeld und gründe dort Siedlungen.“

Für Bartsch eröffnet das Spiel viele verschiedene Schauplätze: „Auf dem Geländespielfeld breiten wir uns aus und bilden Mehrheiten. Auf dem Bauplatz liefern wir uns ein Legespiel-Wettrennen um wertvolle Plätze für die Megalithen. Auf der Götzentafel steigen wir auf, um gute Schlusswertungen abzugreifen. Auf der Tiertableau jagen wir Tiere, um Sets gleicher Arten zu sammeln.“ Es sind also viele Spielstationen, die Bartsch erst einmal vor ein ganz praktisches Problem stellen: „All diese Spielstationen auf dem Tisch überhaupt unterzubringen, erfordert sehr viel Platz. Sie für alle gut erreichbar unterzubringen, ist fast unmöglich.“
Auch andere Dinge sind für Bartsch in „Endless Winter“ zu viel: „Mitspieler:innen bei ihren langen Kettenzügen zuzusehen ist wenig spannend, zumal auch nichts passiert, was mir besonders sehenswert vorkommt. Aber Denkpausen lassen sich hier schwer vermeiden, weil man perfekt haushalten und vieles gleichzeitig unter einen Hut bringen muss“, schreibt er. Zwar seien die einzelnen Elemente „passabel miteinander verzahnt.“ Allein einen spielerischen Mehrwert sieht Bartsch nicht. „Endless Winter“ wirke, „als sei genau dieses ‚Mehr‘ die Devise bei der Spielentwicklung gewesen“, schreibt er. „Für jeden Mechanismen-Geschmack ist etwas dabei, viel Zeug, viel Grafik, riesige Schachtel. Und natürlich Miniaturen. Nur: Was ist jenseits der Opulenz der Leitgedanke? Was ist das Besondere? Das Einzigartige?“ Am Ende fehlt ihm in „Endless Winter“ etwas Entscheidendes: „Die vielen Mechanismen in ‚Endless Winter‘ werden für mein Empfinden nur miteinander verkettet, aber nicht raffiniert vertieft oder zugespitzt. Gewiss, ‚Endless Winter‘ liefert eine komplexe Tüftelaufgabe; man kann seinen Highscore in zunächst ungeahnte Höhen treiben – doch Charakter hat das Spiel nicht.“¹

„Fast unendliche Möglichkeiten sich auszutoben“ findet Tim Koch in der Eiszeit von „Endless Winter“. „Worker-Placement, Deckbau, Area-Control, Set-Collection… kaum ein Mechanismus, der nicht vertreten ist“, schreibt er. Für ihn sind das allerdings „manchmal zu viele“ Vorgehensweisen. „Schon die Menge an Material grenzt an Überforderung, im Spiel tatsächlich jede Regel und jede kleine Ausnahme auf dem Schirm zu haben benötigt mehr als nur eine Einstiegsrunde. Selbst erfahrene Spielerinnen haben viel zu überlegen, was gerade in Vollbesetzung für reichlich Leerlauf sorgt.“ Ein oder zwei Elemente weniger, meint Koch, hätten für ihn ein runderes Spiel ergeben. „Insbesondere der vermeintlich wichtige Deckbau ist wenig spannend. Es gibt gerade mal fünf verschiedene Stammesmitglieder, die obendrein alle Punkte bringen. Entsprechend bleiben elegante oder passgenaue Decks ein Wunschtraum, vielmehr wird das Deck punkteträchtig aufgebläht. Auch die anderen Elemente hätten teilweise etwas prägnanter herausgearbeitet, oder alternativ einfach entfernt werden können.“
Dennoch macht Koch das Spiel Spaß. „In jeder Partie kann ich neue Wege einschlagen und neue Ansätze ausprobieren. Tiere jagen, Megalithen errichten oder die Eislandschaft bereisen… überall warten Abenteuer auf mich“, schreibt er. Auch seien die unterschiedlichen Mechanismen „ordentlich miteinander verzahnt“. Das sei eine „enorme Tüftelei“ – die allerdings auch belohnt würde. „Entsprechend begebe ich mich gerne wieder in die endlose Winterlandschaft“, schreibt Koch.²

Auch für Maren Hoffmann gibt es in „Endless Winter“ viel zu tun. „Jetzt schon auf Siegpunkte gehen oder doch die Engine weiter ausbauen? Soll ich meine Lager zu Siedlungen umwandeln, um meine Einkünfte zu verbessern, soll ich endwertungsträchtig die Götzen noch leidenschaftlicher anbeten oder mir doch lieber für meinen Nachziehstapel endlich mal ein paar kompetente Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter gönnen, damit ich in der nächsten Runde mehr Handlungsspielraum habe? Oder will ich mir Fortschrittskarten besorgen, die mich zum Rundenanfang gleich nach vorn bringen?“ All diese Möglichkeiten jagten „Hardcore-Eurogamern“ einen „wohligen Schauer über den Rücken.“ Dennoch findet sie das Spiel „im Kern fluffig und intuitiv, die vielen Mechaniken greifen gut geschmiert ineinander“, schreibt sie. Es sei „ein echter Eurotraum mit gut geschriebener und übersichtlicher Regel.“ Für sie ist die Materialfülle des Spiels seiner Kickstarter-Herkunft geschuldet. „Wer über die Schwarmfinanzierung Spiele vermarktet, muss den Unterstützern etwas bieten und bei jeder erreichten Zielzwischensumme noch was drauflegen können, um die Dramaturgie steil zu halten.“ Daher gäbe es bereits im Grundspiel schon zwei Zusatzmodule und bereits drei Erweiterungen im Handel. Für Hoffmann einfach Geschmackssache: „Bei Brettspielen gibt es mindestens zwei Fraktionen: Bauhaus und Barock. Die einen freuen sich über schlankes Regelwerk und klare Kanten und ärgern sich über alles, was das Kernspiel verkompliziert und aufrüscht, die anderen verbuchen verspielte Schnörkel als elegant eingefassten Zusatznutzen. Wer Schnickschnack grundsätzlich ablehnt, wird mit ‚Endless Winter‘ sicher nicht glücklich“, schreibt sie. „Wer aber in seinen Latte Macchiato gern noch einen Schuss Sirup gibt und Kakaopulver draufstreut, freut sich über die vielen Extras.“³

¹ Rezensionen für Millionen: Endless Winter
² Spielfreu(n)de: Endless Winter
³ Spielbox 7/22: Ice, Ice, Baby