Suche
Suche Menü

Kritikenrundschau: Feierabend – ein bisschen Streik muss sein

Was machen eigentlich diese Arbeiter eines Arbeitereinsetzspiels, wenn ihr Tagewerk getan ist? In „Feierabend“ (Friedemann Friese, 2F Spiele) vor allem zwei Dinge: sich erholen und für bessere Arbeitsbedingungen demonstrieren. Unsere Jurymitglieder haben sich in ihren jeweiligen Medien in den Arbeitskampf gestürzt. Oder sind auch mal einfach nur in den Urlaub gefahren.

Wer am Ende eine bestimmte Anzahl an Erholungspunkten erreicht, gewinnt das Spiel. „Die Freizeitgestaltung unserer Arbeiterfiguren ist klassisches Workerplacement“, erklärt Udo Bartsch das Spiel. „Reihum kommen wir an die Reihe und platzieren. Besetzte Felder sind besetzt, manchmal darf man auch mehrere Leute unterbringen, manchmal ist das Einsetzen an Voraussetzungen geknüpft, wie zum Beispiel der Motorradausflug.“ Hierfür seien Lebenspartner eine wichtige Ressource – diese garantieren doppelte Erholungspunkte. „Neben Lebenspartnern gibt es in ,Feierabend‘ einen zweiten starken Begleiter: die Gewerkschaft. Wer deren Hauptquartier aufsucht, erhält Streikmarker. Die wiederum dienen in späteren Zügen als Zahlungsmittel, um die Arbeitsbedingungen zu verbessern. Denn an Arbeit führt leider kein Weg vorbei. Sobald jemand alle Figuren eingesetzt hat, ist Schicht.“ Der Arbeitskampf rentiert sich: „Mit Streikmarkern lässt sich das Elend erträglicher gestalten, beispielsweise indem man ein besseres Gehalt durchboxt oder eine geringere Stundenzahl, um nicht jedes Mal ganz so ausgelaugt in die Freizeit entlassen zu werden.“

Das mathematische Gerüst

So ganz überzeugt ist Bartsch nicht von „Feierabend“: „Inhaltlich und mechanisch steht ‚Feierabend‘ in der Tradition anderer Friese-Werke, positiv wie negativ. Erneut bespielt Friese die neuzeitliche Arbeitswelt. Und wie schon anderswo haben die Handlungen den Beigeschmack durchprogrammierter Routinen. Der schlanke, gradlinige Mechanismus hat den Vorteil, dass nie lange gewartet werden muss. Aber den Nachteil, dass das mathematische Gerüst überall durchschimmert.“ Thematisch jedoch habe „Feierabend“ durchaus einigen Witz: „Weil ,Feierabend‘ so nah am eigenen Erleben konzipiert ist, bietet es zahlreiche Gelegenheiten, die Spielzüge mit Kommentaren zu unterlegen und Spaß am eigenen Blödsinn zu entwickeln. Wer das, was er hier tut, auch ein bisschen mitlebt, wird Feierabend mehr feiern als jemand, der das, was er tut, nur errechnet.“ 6 von 10 Punkten vergibt Bartsch für das Spiel.¹

Das Spiel als politischer Aufruf

Auch Christoph Schlewinski ist von der Mechanik das Spieles nicht so überzeugt. „Man hat das Gefühl, man hat bereits nach einer Partie alles gesehen, was ,Feierabend‘ zu bieten hat, und tatsächlich ist das auch fast so. Die Frage, die man sich dann natürlich stellen muss: Reicht einem das? Mit persönlich reicht es, weil ich ‚Feierabend‘ immer noch gerne mit Menschen spiele, die es noch nicht kennen“, schreibt er. Allerdings liest er das Spiel auch als politischen Aufruf: „Ich sehe ,Feierabend‘ eher das verspielte Botschaft an die Spielewelt: Leute, arbeitet nicht so viel, sucht euch nen Partner, macht Dinge, die euch Spaß machen und stellt euch gegen soziale Ungerechtigkeit, macht eine Welle, ändert was. ,Feierabend‘ ist eine spielerisches, satirisches Pamphlet gegen Ausbeutung. Und das bringt das Spiel sehr gut rüber.“
Immerhin eine 3+ vergibt Schlewinski für das Spiel.²

Christoph Schlewinski ist auch in Julia Zerliks Videorezension zu Besuch. „Man muss sagen: Für das, was es bietet, braucht es wahnsinnig viel Platz“, sagt er hier, und wiederholt: „Es ist alles nett, es ist alles schön, aber mit der ersten Partie hat man fast alles gesehen.“ Allerdings findet er das Spiel als politisches Pamphlet nach wie vor gelungen: „Wenn ein wenig davon hängen bleibt, ist es doch gut“, sagt Schlewinski.

Julia Zerlik fokussiert ihre Kritik eher auf die Spielmechanik. Gut findet sie, dass es Varianten für jede Spieleranzahl gäbe. Allerdings seien Entscheidungen in „Feierabend“ immer eindeutig. „Dadurch, das alle Informationen offen liegen und kein Glücksfaktor dabei ist, gibt es einfach Felder, die sind besser als andere.“ Beispielsweise müsse man seiner Spielfigur auf jeden Fall einen Partner zur Seite stellen, sonst käme man nicht so weit. Auch die Streikmarker seien hier ein „Nadelöhr“: „Was bei uns immer sofort weg war, sind die Streikmarker, mit denen verbessert man sich am meisten.“ Vor allem die Mechanik in der Zweispielervariante, in der immer einer der Spieler einen Extrazug bekommt, findet Zerlik in diesem Zusammenhang nicht gelungen. Hier hätte der Startspieler zu viele Vorteile.³

Kein großer Wurf

Mit einer ähnlichen Lesart wie Christoph Schlewinski gehen Manuel Fritsch und Stephan Kessler in ihrem Podcast in den Feierabend: „Was für eine positive Einstellung, mal an dieses Spiel ranzugehen. Nein, ihr müsst nicht arbeiten, sondern ihr müsst Freizeit machen“, findet Fritsch. Gerade, dass man auch aktiv gegen den Gender Pay Gap streiken könne, gefällt ihm. „Auch diese Idee, dann zu sagen: Was mache ich in meiner Freizeit? Ich gehe zur Gewerkschaft. Das ist alles intelligent gemacht und aufeinander abgestimmt und völlig nachvollziehbar und klar. Ich kann das Spiel jemandem erklären, indem ich ihm die Welt erkläre“, sagt Kessler. Allerdings sei das Spiel „mechanisch trocken. Sobald das Thema verfliegt, bleibt nicht mehr viel.“ Auch für Fritsch flaut das Spielerlebnis nach einer Partie ab: „Wenn man von dem Thema absieht, ist es ein recht einfaches, wenig reizvolles Management von diesen Arbeitern.“ Außerdem vermisst er eine Art in der Spielmechanik verankertes Solidaritätsprinzip – jeder kämpfe für sich alleine für bessere Arbeitsbedingungen. Das hält er für eine verpasste Chance. Insgesamt ist das Spiel „kein großer Wurf“ für ihn – dennoch aber thematisch herausragend. Kessler spricht hier gar von einem „leuchtenden Beispiel, wie etwas moderner aussehen kann.“

¹ Udo Bartsch: Helden der Freizeit, spielbox 6/2020
² Christoph Schlewinski: Feierabend, Spielerei, Oktober–Dezember 2020
³ Spiel doch mal…: Frisch vom Tisch Vol. 35
Insert Moin: Le Brett vom 21.8.2020 (kostenpflichtig)