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Kritikenrundschau: Heat – heiße Kisten, enge Kurven

Motor hochdrehen, das Gaspedal durchdrücken und ordentlich Gummi auf der Straße lassen: „Heat“ (Asger Harding Granerud und Daniel Sjolkd Petersen bei Days of Wonder) riecht schon beim Ansehen der Packung nach Benzin und Asphalt. Unsere Jurymitglieder haben sich in ihren jeweiligen Medien ins Bolidencockpit gesetzt um herauszufinden, ob das Spiel Vollgas gibt.

„Beim Start enthält mein Deck erstmal fast nur gute Karten“, erklärt Harald Schrapers das Spiel. „Zwischen meinem Nachziehstapel, von dem ich immer auf sieben Karten nachziehe, und dem Ablagestapel liegen die bedrohlichen Hitze-Karten. Schon die erst Aktion erfordert die Entscheidung: Schalte ich vom ersten in den zweiten Gang? Dann ist alles gut und ich darf zwei Spielkarten ausspielen, die mein Auto so viele Felder nach vorn rücken lässt, wie es dem Kartenwert entspricht. Wenn ich aber direkt in den dritten Gang schalte, führt dies zu einer deutlichen Erhitzung meines Motors. Ich muss deswegen eine der nervigen Hitze-Karten in mein Deck hineinnehmen“, schreibt Schrapers. „Ein bisschen Hitze macht nichts, der Motor hält das aus. Man kann sogar sämtliche Hitzekarten in den Spielstapel übergehen lassen – doch dann sollte man besser mal runterschalten, um den Motor abzukühlen.“ Jede Kurve habe eine Höchstgeschwindigkeit, bei deren Überschreiten man die Technik überanspruche. „Trotzdem wird man dies dann und wann tun, um sich nicht abhängen zu lassen. Denn das Feld der Rennfahrenden trennt sich schnell in diejenigen, die die Kurve schon geschafft haben, und diejenigen, die dies noch vor sich haben.“

„Die Ausstattung ist opulent, kann aber die Riesenschachtel und das große Plastikinlay nicht annähernd füllen.“ Das sei ärgerlich, meint Schrapers. Sein Fazit lautet: „,Heat‘ setzt mit dem vorsätzlich verlangsamten Deck einen spannenden Akzent, der manchmal für ziemlich spektakuläre Kurvenfahrten sorgt.“ Stellenweise sei das Spiel allerdings ein wenig „langatmig“. Manchmal habe er sich gewünscht, „dass das Rennen auch schon zwei Züge früher zu Ende gewesen wäre“.¹

„,Heat‘ erfordert Handmanagement“, erklärt Udo Bartsch. „Auf einer langen Geraden kann ich Stresskarten meist gefahrloser spielen als in scharfen Kurven. Und wenn ich nicht gerade kurz vorm Nachmischen bin, kann ich obendrein ganz gut einschätzen, ob ich wahrscheinlich eher hohe oder eher niedrige Werte aufdecken werde. Auch wenn man hereinfallen kann: Es ist kein reines Glück.“ Mit allzu konservativer Fahrweise allerdings sei das Spiel nicht zu gewinnen. „Hitze sammelt sich zwangsläufig. Aber es ist eine Abwägung: Wann lohnt es sich, Hitze in Kauf zu nehmen? Wann kann ich sie wieder runterkühlen, ohne im Rennen zurückzufallen?“, schreibt er. „Wie perfekt ich durch die Kurve komme, hat teilweise natürlich auch mit dem Glück zu tun, im entscheidenden Moment das Passende auf der Hand zu haben. Es hat aber auch damit zu tun, wie man sich positioniert und wie man an eine Kurve heranfährt.“ Ein zweiter wichtiger Faktor sei der Windschatten. „Wessen Zug direkt hinter oder direkt neben einem anderen Auto endet, darf zwei Schritte mehr gehen. Das will man möglichst oft erreichen, also dreht es sich beim Ausspielen der Karten auch immer um die Frage, wie weit die Fahrzeuge vor mir ziehen werden.“ Für Bartsch erzeugt „Heat“ „mit relativ einfachen Prinzipien und cleveren Mechanismen spannende Rennatmosphäre“, auch wenn die Rennen sich in die Länge ziehen könnten. Auch sei „der Faktor Windschatten zu dominant“. Lob hat Bartsch für die Ausstattung übrig: „Toll finde ich, was die Box außer den Grundregeln noch alles mitliefert“, schreibt er. „Insbesondere sind dies Upgrade-Karten, die Teile unseres Standard-Decks ersetzen. Jede:r fährt nun mit einem individuellen Karten-Set, das Strategieanpassungen erfordert. Im Modul ‚Meisterschaft‘, das über mehrere Rennen ausgetragen wird, wird der Wagen von Rennen zu Rennen immer stärker und komplexer.“ Auch die vom Spiel gesteuerten Autos findet Bartsch sinnvoll, um das Feld aufzufüllen. „All das rundet das Spiel als Gesamtpaket gelungen ab“, findet er.²

Tobias Franke findet in einer Kurzkritik: „,Heat‘ macht irre viel Spaß. Ich bin hellauf begeistert – was auch am überzeugenden Material und der tollen Gestaltung mit Illustrationen von Vincent Dutrait liegt.“ In seinem Podcast führt die Begeisterung für „Heat“ noch weiter aus: „Es ist momentan mein Lieblingsrennspiel, und ich habe doch einige zuhause“, sagt er. Gerade die Zusatzmodule, die dem Spiel beiliegen, brächten „noch mehr Spieltiefe rein“. Um zu gewinnen, müsse man „das Material ausreizen“. Den Glücksfaktor, der sich durch Karten ergibt, die man auch mal blind ziehen müsse, findet er „völlig ok“. „Bei ‚Heat‘ kann es mal schlecht laufen, aber das gleicht sich aus.“ Wer sein Deck beobachte, könne das Risiko abschätzen. Lobende Worte findet Franke für die vom Spiel gesteuerten Autos, die im Solo- aber auch im Mehrspielermodus das Feld bevölkern können: „Das faszinierende ist, dass diese Bots durchaus konkurrenzfähig sind“, sagt er. Sie seien auch nötig, denn „zu zweit ist ein Rennspiel eigentlich todlangweilig“. Durch die Bots sei „immer was auf dieser Strecke los, und das ist für mich das i-Tüpfelchen, weil ich immer mit sechs Autos fahren kann“. Auch der Meisterschafts-Modus gefällt ihm. „Die einzelnen Rennen erzählen kleine Geschichten“, sagt er. Sein Abschlussurteil: „Ganz viel Liebe für ,Heat‘. Das ist momentan mein persönliches Highlight.“³

Michaela Poignée ist, sagt sie, „eigentlich gar nicht so ein Rennfan“. Für sie hat „Heat“ beim Betrachten zunächst die Anmutung eines einfachen Rennspieles, bei dem man immer im Kreis fährt. Aber: „Dafür hat es doch komplizierte Regeln.“ Die Spielerfahrung beschreibt sie positiv: „Es war witzig, es hat Spaß gemacht. Man hat mitgefiebert, mal hatte man die richtigen Karten auf der Hand, mal nicht.“ „Heat“ habe für sie „viele schöne Elemente“. Alles passe gut zusammen und bringe das Rennfieber gut rüber.

Stephan Kessler und Nico Wagner haben sich als Zweiterteam ins Cockpit gesetzt. „Das Ganze ist kein Deckbuilder, sondern eher ein Deckmanagment-Spiel“, findet Kessler. Der Aufbau sei in Verbindung mit der Thematik „relativ clever“. Für ihn ist es ein Spiel, in dem hauptsächlich Risiko abgeschätzt werden müsse. „Wie gehe ich mit den Kurven um?“, fragt er. „Das ist interessant, wie unterschiedlich Menschen dieses Risiko bewerten. Ich sage immer: Fahr nicht zu vorsichtig, du musst deinen Motor wirklich ausreizen!“ Es bringe nichts, alle Kurven exakt mit der vorgegebenen Geschwindigkeit zu nehmen. Das Spiel „spiegelt ein Wettrennen wider: Wann heize ich so richtig durch? Wann halte ich mich eher zurück?“ Das sei „ein spannender Balanceakt“. Die Regeln findet Kessler „gar nicht so schwer, aber der Teufel steckt im Detail“. Kesslers spielerischer Eindruck ist zwiespältig. „Wenn ich es mit vielen Leuten gespielt habe, hatte ich die schlechtesten Spielerfahrungen.“ Dann setze sich immer ein Pulk nach vorne ab, und die anderen hätten keine Chance mehr, aufzuholen. Bei weniger Spieler:innen bewege man sich eher „auf Augenhöhe“. Für ihn komme beim Spielen kein wirkliches Renngefühl auf. „Man fühlt sich eher wie der Trainer am Rand“, sagt er. Auch er findet die vom Spiel gesteuerten Autos „exzellent“. „Ich bin eigentlich kein Solospieler“, sagt er, „und ich spiele eigentlich nie mit Bots – aber hier spiele ich, egal in welcher Konstellation, immer damit“. Insgesamt habe er mit „Heat“ ambivalente Erfahrungen gemacht, stellt Kessler in seinem Fazit fast. Gleichzeitig meint er: „Ich kann mir durchaus vorstellen, dass es ein Titel ist, über den wir noch in drei oder vier Jahren reden werden.“
Nico Wagner kommt das Spiel manchmal zu lang vor. „Das passiert immer genau dann, wenn man in einer großen Runde spielt“, sagt er, und dann, wenn jemand das Spiel zum ersten Mal spielt. Das Spielgefühl beschreibt er als „sehr mechanisch“, es mute für ihn „wie ein Wegspielen von Negativereignissen“ an. Er vermisse das „Adrenalinfeeling“, das sich bei einem Rennspiel einstellen sollte. „Für mich wäre so ein Rennspiel etwas, wo ich den Fahrtwind im Gesicht spüre. Ich fletsche die Zähne, ich kralle die Hände ins Lenkrad, während ich um die Kurve gerade noch so mit quietschenden Reifen rumfahre.“ Spannender werde es, wenn die Zusatzmodule ins Spiel kämen und Deckmanagement-Feeling aufkomme. Richtig warm wird Wagner mit dem Spiel jedenfalls nicht: Den Hype, den das Spiel erfahren hat, kann er nicht nachvollziehen. „Heat“ sei nur dann ein „ein komplett stimmiges, gutes Gesamtpaket, wenn man Zugang zu dem Thema hat“.

¹ gamesweplay.de: Heat
² Rezensionen für Millionen: Heat
³ fjelfras.de: Empfehlungen: „Heat“ und „Flamme Rouge“ und Cocktails for Meeples: Folge 1
Die Brettspieltester: Heat
Brettagogen #228