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Kritikenrundschau: Tribes of the Wind – Umweltaufräumtrupp mit Farbkarten

Wer den Dreck macht, sollte ihn auch wieder aufräumen: Das ist eine Regel, die zu vielen Gelegenheiten einsetzbar ist. In „Tribes of the Wind“ (Joachim Thôme bei Huch und La Boîte de Jeu) sind es die Menschen, die aus den Wolken heraus die unbewohnbar gewordene Erde wieder bewohnbar machen sollen. Unsere Jurymitglieder haben sich in ihren jeweiligen Medien die Flügel umgeschnallt und an die Aufräumarbeiten gemacht.

„Alle Spielenden puzzlen auf ihrem eigenen Tableau vor sich hin“, erklärt Stefan Gohlisch das Spiel. „Im Zentrum befindet sich die zu besiedelnde Landschaft, wozu Karten verwendet werden. Ihre farbige Rückseite lässt Rückschlüsse darauf zu, wozu sie besonders gut sind. Da müssen Landschaftsfelder von Umweltzerstörungschips befreit werden (rote Karten), mit Wäldern bepflanzt (grüne Karten), mit Wasser bezahlt (blaue Karten) und schließlich von den gelben Windreiter-Figuren in Dörfer verwandelt werden (gelbe Karten). Wer das fünfte Dorf baut, leitet das Ende der Partie ein“, so Gohlisch.

„Mechanisch verbirgt sich dahinter ein klassisch verschachteltes Eurogame für Kenner, aber eines mit einem besonderen Kniff. Denn im Kern handelt es sich um einen Punktewettlauf mit dem üblichen Kennerspiel-Brimborium.“ Besonders seien hier die Karten. „Um sie einzusetzen, müssen Bedingungen erfüllt werden, zum Beispiel, dass man mehr grüne Karten besitzt als die Nachbarn.“ Gohlisch findet diesen Mechanismus „originell“, er hebe „Tribes of the Wind“ sogar „aus dem Kennerspiel-Einerlei hervor“, schreibt er. „Aus einer solitären Puzzelei wird eine Aufgabe, bei der man zwar kaum das Tun der Anderen beeinflussen kann, es aber jederzeit im Blick behalten muss.“ Zwar nutze sich das Gefühl des Neuen irgendwann ab. „Aber bis dahin garantiert es spannende Partien.“¹

Auch Udo Bartsch findet den Kartenmechanismus das „Besondere“ an „Tribes of the Wind“. „Das Taktieren mit den eigenen Karten, wann die beste Gelegenheit ist, um sie zu spielen, in welcher Reihenfolge ich sie spiele, welche Farben ich aufbewahre, welche Farben ich nachziehe und so weiter, ist spannend“, schreibt er. „Gleichzeitig bremst dieser Mechanismus aber auch.“ Da in „Tribes of the Wind“ Aktionen nicht gleichzeitig abgehandelt werden, käme es manchmal zu längeren Wartezeiten. „Bei manchen Spieler:innen führt die Tatsache, dass Karten einen optimalen oder auch einen suboptimalen Ertrag haben können, zu einem langen gedanklichen Durchdeklinieren der Möglichkeiten, bis die wirklich beste gefunden ist, in der man nicht mehr das doofe Gefühl hat, leichtfertig auf irgendeinen möglichen Vorteil zu verzichten.“ Unspielbare Karten sammelten sich allerdings nicht an, denn „Tribes of the Wind“ löse das Problem sehr elegant: „Viermal im Spiel darf ich einen Tempel bauen, wozu ich drei meiner fünf Karten austauschen muss beziehungsweise darf. Und weil Tempel Vorteile bringen und sogar Punkte zählen und obendrein Aufträge erfüllen können, ist das mehr als nur ein Notzug.“
Bartsch findet das Spiel „mechanisch rund“. Dennoch packt es ihn nicht komplett. „Auch wenn wir unterschiedliche Tableaus mit dezent unterschiedlichen Ausrichtungen haben, fühlt es sich für mich nach immer demselben Wettrennen mit immer denselben Stellschrauben an. Meine Neugierde auf weitere Partien ebbte bald ab“, schreibt er. „Das Thema ist schwach, dem dargebotenen Endzeitszenario stehe ich emotionslos gegenüber, alles ist eben doch nur rein mechanische Eurokost. Die entscheidende Frage für den Wiederspielreiz ist vermutlich, ob man den Kartenmechanismus so stark findet, dass er den herkömmlichen Rest überstrahlt. Ich finde das nicht.“²

Manuel Fritsch und Stephan Kessler haben sich getroffen, um zu zweit die verwüstete Welt aufzuräumen. Fritsch kritisiert vor allem die Anleitung, die er sich etwas übersichtlicher wünscht. Beispielsweise gäbe es keine Übersicht für die Piktogramme auf den Karten. „Die Kartenaktionen sind voller Icons, da muss man ein bisschen reinkommen“, sagt er. Das sei erst dann intuitiv, „wenn man das einmal verstanden hat“. Dann machte es „relativ schnell ‚Klick‘“. Das Spiel böte schöne taktische Möglichkeiten. „Ich muss immer wieder gucken: Was machen die anderen? Wer nimmt mir jetzt was weg?“ Für Fritsch sei das Spiel „frischer Wind in diesem Genre, weil es mal ein neues Thema ist“. Sein Fazit: „Richtig toll, ich bin total begeistert.“
Kessler teilt diese Begeisterung, denn das Spiel besäße „wirklich Interaktivität“. Man müsse immer auf die anderen achten. Er findet es gut, dass „Tribes of the Wind“ nicht nur auf Kartenglück basiert, sondern immer auch die Option biete, etwas anderes zu machen. Außerdem sei das Spiel nie bestrafend. „Ich wachse an dem Spiel. Ich habe wirklich das Gefühl: Beim nächsten Mal bin ich besser.“ Dadurch ergebe sich ein hoher Wiederspielreiz, trotz einer Einschränkung: „Das Thema wird nicht durch die Mechanik transportiert“. Sein Fazit lautet: „Starker Titel.“³

In einem in der Spielbox abgedruckten Messenger-Gespräch führen die beiden ihre Diskussion noch weiter. Fritsch ergänzt hier: „Magisch finde ich übrigens auch das wunderbare Design des Illustrators Vincent Dutrait, dessen detaillierten und farbenfrohen Grafiken dem eigentlich sehr düsteren Szenario richtig Leben einhauchen.“ Kessler ergänzt: „Die einzelnen Züge sind auch angenehm kurz. Eine Karte ausspielen, Effekt abhandeln, nachziehen, fertig. Hinzu kommen die einzigartigen, freischaltbaren Fähigkeiten jedes Oberhauptes, die zwar stark, aber nicht essenziell sind, um zu gewinnen. Der Clou, dass meine Aktionen von den Rückseiten der Karten meiner Mitspielenden abhängen, finde ich wirklich clever. Ich stehe immer vor dem Dilemma: Warte ich noch, um das beste Ergebnis der Karte zu erhalten, oder nehme ich die schwache Alternative, aber dafür kann ich genau machen, was ich will?“

Michaela Poignée findet, in der Anleitung fehle es „ein bisschen an Genauigkeit“. Aber: „Wir sind sehr gut reingekommen in das Spiel – bis auf die Symbolik, da ist es ein bisschen komplexer.“ Jedenfalls habe das Spiel sowohl zu zweit als auch viert gut funktioniert. „Das Salz in der Suppe ist der Kartenmechanismus“, sagt sie, denn er böte viele Möglichkeit zur Interaktion. „Das ist klasse.“ Manchmal werde einem der Zug zwar verhagelt. Aber es gäbe, auch bei unglücklich verteilten Karten, immer etwas Sinnvolles zu tun. „Ich mag das Spiel total gerne, es hat einen hohen Wiederspielreiz und ist abwechslungsreich“, sagt Poignée.

¹ Neue Presse vom 31.8.23
² Rezensionen für Millionen: Tribes of the Wind
³ Le Brett vom 10.8.2023 (kostenpflichtig)
⁴ Spielbox 5/23: Vom Winde verweht
Die Brettspieltester: Tribes of the Wind