Spiel des Jahres 1987: AUF ACHSE von Wolfgang Kramer
Der Ferntransport von Waren auf der Straße ist ein knallhartes Geschäft. Um dabei nicht wirtschaftlich unter die Räder zu kommen, müssen die eingesetzten Lkw optimal disponiert werden. Zwecks hoher Auslastung und entsprechender Rendite heißt es, neben privaten auch öffentliche Aufträge zu akquirieren, diese geschickt zu bündeln und bei der Auslieferung der Waren unnötige Umwege zu vermeiden.
Genau dies ist auch die Aufgabe der Teilnehmer an einer Partie AUF ACHSE. In der Rolle von Spediteuren erhalten sie zu Beginn Auftragskarten, aus denen sich jeweils Start- und Zielort, Warenmenge und Frachterlös ergeben. Um die Ladekapazität ihres Brummis auszuschöpfen, müssen sie sich zusätzlich um öffentliche Aufträge bemühen, die allerdings nur durch Teilnahme an einer Versteigerung zu erlangen sind. Es versteht sich, dass bei den Geboten genau kalkuliert sein will, ob der zu erwartende Erlös den Kosten- und Zeitaufwand noch rechtfertigt, was sich natürlich für jeden Spediteur anders darstellen wird.
Wie zügig ein Fahrzeug auf den Autobahnen von Flensburg bis Mailand und von Brüssel bis Berlin vorankommt, entscheidet ein Würfel. Sei es, dass er die Zugweite vorgibt, sei es, dass er die Errichtung einer Baustelle ermöglicht, an der niemand mehr vorbeifahren kann, bis sie woandershin versetzt worden ist. Ein Wörtchen mitzusprechen hat Fortuna auch mittels diverser Ereigniskarten, die Geld- oder Zeitverluste bringen können.
Wer bereits genug Einnahmen erzielt hat, darf zur Steigerung seiner Ladekapazität kleine oder große Anhänger erwerben. Dadurch erhöht sich die Flexibilität bei der Auftragsabwicklung deutlich. Allerdings muss sich die Investition auch noch bis zum Ende der Partie amortisiert haben. Dieses tritt ein, sobald ein Teilnehmer alle eigenen Aufträge erfüllt hat und das Angebot öffentlicher Aufträge erschöpft ist. Sodann wird der Sieger anhand des erwirtschafteten Geldbetrags ermittelt.
Die Gründe
AUF ACHSE ist einerseits unkompliziert und deshalb auch für Gelegenheitsspieler leicht zugänglich. Andererseits verlangt es den Teilnehmer immer wieder gut überlegte Entscheidungen ab, um mit möglichst wenigen Zügen eine möglichst hohe Rendite zu erzielen. Je nach Interessenlage lässt sich das Spielende forcieren oder hinauszögern. Die Zufallselemente sorgen dafür, dass die spielerische Leichtigkeit erhalten bleibt und auch jüngere Teilnehmer eine Chance auf den Sieg haben und deshalb mit Spaß bei der Sache sind. Außerdem enthält die Anleitung eine vereinfachte Version, nach der auch Kinder ab acht Jahren problemlos mitspielen können.
Gelungen ist auch die funktionale Umsetzung. Der große Spielplan ist ebenso wie die Auftragskarten sehr übersichtlich gestaltet, und auf der Ladefläche der kleinen Lkw lassen sich die Warensteine problemlos transportieren. Die klar gegliederte Anleitung vermittelt das Regelwerk mit zahlreichen Grafiken und enthält weder Unklarheiten noch Lücken, weshalb sie die seinerzeit noch von der Jury verliehene „Essener Feder“ als Auszeichnung für eine vorbildliche Spielanleitung auch nur knapp verfehlt hat.
Aufgrund all dieser Qualitäten hat sich AUF ACHSE souverän an die Spitze des Jahrgangs setzen können, nachdem es zunächst noch im internen Informationslauf auf einem der hinteren Plätze zu finden war.
Der Autor
Wolfgang Kramer war bereits im Vorjahr für sein HEIMLICH & CO. ausgezeichnet worden. Inzwischen ist er noch dreimal zusammen mit verschiedenen Co-Autoren erfolgreich gewesen. Auch den früheren Sonderpreis Kinderspiel hat er seiner Trophäensammlung hinzufügen können. Er gehört zu den wenigen Autoren, die ihr Hobby zum Beruf gemacht haben.
Der Verlag
Der von Franz Xaver Schmid 1860 gegründete Verlag hatte sich zunächst auf die Herstellung von Karten und Spielwaren beschränkt und sein Sortiment erst 1955 auf Brettspiele und Puzzles erweitert. Obwohl sich AUF ACHSE zu einem Verkaufsschlager entwickelte und bereits 1990 und 1993 noch zwei weitere Spiele des Jahres dazukamen, geriet das Unternehmen Mitte der 90er Jahre in wirtschaftliche Schwierigkeiten und wurde 1997 von den Ravensburgern übernommen. Deren Versuch, zumindest das Kürzel FX als Marke für Spiele zu etablieren, die junge Erwachsene als Zielpublikum haben, ist allerdings wenige Jahre später bereits beendet worden.
Der Spielejahrgang
Mit sieben Titeln erreichte die Auswahlliste dieselbe Länge wie im Vorjahr. In alphabetischer Reihenfolge waren dies:
DER FLIEGENDE TEPPICH von Elke Flogaus und Kurt Feyerabend (Ravensburger) verlockt die Teilnehmer zu einem kartengetriebenen Wettflug über die Dächer und Türme einer orientalischen Stadt, deren Skyline von ihnen zu Beginn jedes Mal neu gestaltet wird.
Geschicktes Vorgehen beim permanenten Austausch bereits ausliegender mit noch auf der Hand gehaltenen Karten ist gefragt, um gemäß den pfiffigen Vorgaben von Sid Sackson möglichst schnell DIE 1. MILLION (Hexagames) zusammenzubekommen und alle anderen daran zu hindern.
Mit seinem KREML (Fata Morgana) parodiert Urs Hostettler die Machtspiele zu Zeiten der Gerontokratie von Breschnew & Co auf ebenso anspruchsvolle wie humorige Weise, indem er die Teilnehmer auf der Klaviatur verkrusteter Politbürostrukturen klimpern lässt.
Anspielen durch Anpeilen lautet das Prinzip, wenn sechs Leuchttürme immer wieder neu in Position gebracht werden müssen, um auf den Schnittpunkten ihrer Strahlen Tempo zu machen und Reinhold Wittigs Segelwettbewerb MARITIM (Franckh-Kosmos) erfolgreich zu beenden.
In Roland Siegers RESTAURANT (Flying Turtle)schlüpfen die Teilnehmer in die Rolle von Kellnern, die zunächst fleißig Bestellungen aufnehmen, um sodann bevorzugt wertvolle Menüs zu servieren, während sie die billigen Schnellgerichte lieber ihren Kollegen überlassen.
Das von Johannes Tranelis auf Kooperation angelegte SAUERBAUM, das dieser im Eigenverlag herausgebracht hat, entfaltet seinen Reiz dadurch, dass hier das Streben des Menschen nach Eigennutz nicht künstlich ausblendet wird und dieser damit das Gelingen der gemeinsamen Aufgabe gefährdet, den Baum vor einer Übersäuerung des Bodens zu retten.
Wie man als unersättlicher Finanzhai einzelne Firmen zu immer größeren Ketten verknüpfen und damit kleinere Ketten schlucken kann, um satte Kursgewinnen einzufahren oder der Konkurrenz schmerzliche Verluste zu bescheren, lässt Jean Vanaise mit seinem SHARK (Flying Turtle) nachvollziehen.
Den Sonderpreis für das Schöne Spiel erhielt TATORT NACHTEXPRESS von Jeff Smets (Jumbo). Der ebenso prächtig wie funktional gestaltete Spielplan zeigt aus der Vogelperspektive zwei Salonwagen des berühmten Transkontinentalzuges, wo soeben ein Mord begangen worden ist. Da auch die Kärtchen mit dem Zugpersonal und den Verdächtigen sehr ansprechend gestaltet sind, vermag kaum jemand dem Reiz zu widerstehen, sich sofort mit detektivischem Scharfsinn an die Überführung des Täters zu begeben.
Die weitere Entwicklung
AUF ACHSE konnte sich zunächst nur bis 2001 im Programm der Ravensburger halten, wo es 1999 mit deren blauen Dreieck versehen worden war. Erst sechs Jahre später, anlässlich des 20. Jahrestags brachte dann der in Berlin ansässige Verlag Schmidt Spiele eine redaktionell leicht überarbeitete und zugleich an die veränderte Landkarte angepasste Neuausgabe heraus. Hier ist der Glücksfaktor durch Verwendung eines weiteren Würfels reduziert, und lässt sich das Ende der Partie dadurch schneller herbeiführen, dass die Versteigerung eines öffentlichen Auftrags jeweils ins Belieben des Spielers am Zug gestellt ist. Mit einer Gesamtauflage von inzwischen über einer Million hat sich das Spiel dann doch als Longseller zu etablieren vermocht.
1992 erschien AUF ACHSE JUNIOR, dessen Anforderungen im Vergleich zur vereinfachten Version des Originals noch weiter heruntergefahren sind, um bereits Kindern ab sechs Jahren die Teilnahme zu ermöglichen. 1995 folgte AUF ACHSE – DAS KARTENSPIEL, das sich allerdings nur lose ans Original anlehnt, indem es Spielthema und Optik aufgreift.
Während das Thema Logistik bei Eisenbahnbauspielen stark vertreten ist, hat sich im Bereich des Straßenverkehrs kaum etwas getan. Zu vermelden sind hier lediglich FLEETBOARD, ein Werbespiel von Günter Cornett für Daimler-Benz aus dem Jahre 2001, und das 2010 von der europäischen Frachtenbörse Trans.e ohne Autorenangabe herausgebrachte TRUCK WELT.
Jochen Corts (Januar 2012)