Spiel des Jahres 1988: BARBAROSSA und die Rätselmeister von Klaus Teuber
Alle Spieler formen gleichzeitig aus Knetmasse ihrer Farbe je nach Teilnehmerzahl zwei oder drei Figuren, die sie zuvor aus einer Liste mit 720 gegenständlichen Begriffen ausgewählt haben. Dabei geht es nicht um möglichst exakte Darstellungen. Vielmehr sollen die Gegenstände nur so weit angedeutet werden, dass sie erst durch geschicktes Fragen und etwas Fantasie identifiziert werden können.
Wer es seinen Konkurrenten zu leicht macht, wird auf der „Treppe der Rätsel“ ein paar Stufen zurückgeschickt. Nicht anders ergeht es allerdings auch dem, dessen Rätsel erst spät oder gar nicht gelöst werden, weil sie zu schwierig gestaltet sind. Dagegen dürfen die ersten beiden Teilnehmer, die auf die Lösung kommen, die Treppe ein gutes Stück hinaufspringen.
Die Fragen werden offen gestellt und beantwortet, sodass jeder daraus seine Schlüsse ziehen kann. Dreimal besteht zudem die Möglichkeit, sich mittels eines sogenannten Fluchsteines in die Raterunde eines anderen einzuschalten, wenn man glaubt, die Lösung gefunden zu haben. Allzu direkte Fragen können sich daher als ungewollter Denkanstoß für die übrigen Rätselgesellen erweisen, die ja ebenfalls nur zu gern Meister werden wollen.
Die Gründe
BARBAROSSA UND DIE RÄTSELMEISTER paart auf bislang einmalige Weise Kreativität und Interaktion. Es ist anregend, witzig, kommunikativ und spannend. Da die Fragen laut gestellt werden, sind alle Teilnehmer jederzeit voll ins Spielgeschehen einbezogen, sodass keine Sekunde Leerlauf entsteht.
Anfangs kann es ältere Jugendliche und Erwachsene schon eine gewisse Überwindung kosten, sich auf die Verwendung von solchem Kinderkram wie Knete in einem Brettspiel einzulassen. Da ist es den Jury-Mitgliedern seinerzeit zunächst nicht anders ergangen. Umso größer dann die Begeisterung, wenn das Spiel schon nach wenigen Zügen zündet und seinen Charme entfaltet. Deshalb sollte es nicht überraschen, dass sich BARBAROSSA UND DIE RÄTSELMEISTER sogar in einem so starken Jahrgang mit deutlichem Vorsprung hat durchsetzen können.
Der Autor
Klaus Teuber war gleich mit seinem Erstling ein Erfolg vergönnt, von dem andere nicht einmal zu träumen wagen. Ein Erfolg, den er bislang bereits drei Mal hat wiederholen können. Dabei hat er mit seinem 1995 gekürten Jahrhundertspiel DIE SIEDLER VON CATAN sogar einen Welterfolg gezielt. Seinen erlernten Beruf als Zahntechniker hat er deshalb inzwischen längst aufgegeben, um sich ganz der Pflege dieses Spiels und dem Ausbau dessen Grundprinzips widmen zu können.
Der Verlag
Der Name ASS stand ursprünglich für Vereinigte Altenburger und Stralsunder Spielkartenfabriken. Dieses Unternehmen wurde zwar erst 1931 gegründet. Die Wurzeln der daran beteiligten Firmen reichen jedoch zurück bis ins Jahr 1765. Nach der Wiedervereinigung wurde die Altenburger Spielkartenfabrik 1991 reprivatisiert und von der Treuhandanstalt an den Verlag F.X. Schmid verkauft, der seinerseits ein paar Jahre später vom Otto Maier Verlag, Ravensburg, erworben wurde.
Mit der Übernahme durch die Cartamundi-Gruppe aus Belgien, zu der bereits auch der ASS Spielkartenverlag gehörte, konnte 2003 die infolge des 2. Weltkrieges herbeigeführte Trennung überwunden werden.
Hergestellt werden in großen Stückzahlen Spielkarten, hergebrachte Kartenspiele und Werbespiele. Autorenspiele sind derzeit nicht im Programm.
Der Spielejahrgang
1988 war ein bemerkenswert starker Jahrgang, was sich auch in der auf neun Titel verlängerten Auswahlliste niedergeschlagen hat. In alphabetischer Reihenfolge waren dies:
Neben einer ruhigen Hand beim Auftürmen der zum Teil äußerst instabilen Bauteile ist auch eine gehörige Portion taktisches Geschick gefragt, um sich bei Klaus Zochs BAUSACK (Zoch Spiele) erfolgreich aus der Affäre zu ziehen. Denn es wird nicht bloß gebaut, sondern die Bauteile werden nach unterschiedlichsten Vorgaben jeweils einzeln versteigert.
FORUM ROMANUM von Wolfgang Kramer (Franckh-Kosmos) ist ein abstraktes Mehrheitenspiel. Es zieht seinen Reiz daraus, dass sich die verschiedenen Wertungsbereiche überschneiden, sodass man seine begrenzten Kräfte geschickt aufteilen muss, um nicht überall als zweiter Sieger leer auszugehen oder als Letzter sogar Punkte zu verlieren.
Das Prinzip simultaner Blindgebote durch verdecktes Ausspielen von Karten hat Alex Randolph mit seinem HOL’S DER GEIER (Ravensburger) zur Grundlage eines „Bier & Brezel“-Spiels gemacht, das selbst eingefleischte Spielmuffel über kurz oder lang aus der Reserve lockt und in fiebrige Spannung versetzt.
Bei JANUS von Rudi Hoffmann (Franckh-Kosmos) werden die Plättchen, die Richtung und Zugweite der Figuren vorgeben, nach dem Zug vom Spielbrett entfernt. Wer mit dem letzten Plättchen eines Quadrats dessen Besitzer wird, erhält nicht nur dessen Punktwert, sondern kassiert künftig Maut beim Durchzug fremder Figuren.
LOA von Claude Soucie (Hexagames) stellt den beiden Kontrahenten zur Aufgabe, ihre anfangs getrennten Steine zu einer Gruppe zu vereinen. Da sich die Zugweite nach der Anzahl eigener und fremder Steine auf der gewünschten Zuglinie richtet und Schlagen dem Gegner die Aufgabe sogar erleichtert, sind Raffinesse und Flexibilität gefragt.
Das Wettlaufspiel MISSISSIPPI von Roland Siegers (Mattel) kommt ohne Würfel aus. Neben einigen Holzscheiten wird die nötige Bewegungsenergie durch das Anlegen an fremde Raddampfer aus der Differenz zwischen den gerade angezeigten Werten auf den Rädern gewonnen, was bei geschicktem Vorgehen sogar Kettenzüge erlaubt.
Bei SCALINO, einem Bauspiel von Peter Pallat (Abra), versuchen die Teilnehmer ihre farbigen Bauklötze unterschiedlicher Länge in einer vierstöckigen Stufenpyramide so geschickt unterzubringen, dass bei deren Vollendung möglichst viele Stufen der eigenen Farbe zu sehen sind. Nicht verbaute Klötze werden mit Punktabzug geahndet.
SCHOKO & CO. von Yves Hirschfeld und Gilles Monnet (Schmidt Spiele) ist ein abendfüllendes Wirtschaftsspiel, worin man sich als Manager einer Schokoladenfabrik behaupten muss. Der Job umfasst Einstellung und Entlassung von Mitarbeitern, das Ersteigern von Kakao, dessen Verarbeitung zu Schokolade und schließlich deren gewinnbringenden Verkauf.
In die nicht minder anspruchsvolle Rolle des Anführers eines Nomadenstammes sehen sich die Spieler bei TARGUI von Ben van Dijk und Wil Dijkstra (Jumbo) versetzt. Aus Salinen oder Oasen müssen Erträge für den Erwerb neuer Kamele erwirtschaftet werden, um damit Angriffe abwehren oder selbst auf fremde Gebiete vortragen zu können.
Der Sonderpreis Schönes Spiel ging an INKOGNITO (MB), eine Gemeinschaftsarbeit von Alex Randolph und Leo Colivini, die auch an der Grafik und dem Design des Spielmaterials mitgewirkt haben. Der originellen Spielidee, im Karneval von Venedig unter den Mitspielern zunächst den eigenen Partner herauszufinden und mit diesem gemeinsam eine Aufgabe zu lösen, korrespondiert die so überaus gelungene materialmäßige Umsetzung. Alles themengerecht durchgestylt bis ins kleinste Detail und dadurch von großer atmosphärischer Dichte. Da ging es natürlich nicht an, profane Würfel zu verwenden, sondern wurden diese durch eine Büste mit Kapuze und Maske ersetzt, die als Menetekel über die Spielzüge entscheidet.
Den bislang erst einmal vergebenen Sonderpreis für Das beste kooperative Spiel durfte Johannes Tranelis für sein SAUERBAUM (Herder-Spiele) entgegennehmen, nachdem dieses im Vorjahr noch in der Ausgabe seines Eigenverlags bereits auf die Auswahlliste gelangt war. Ein stilisierter Tannenbaum wird von einer Wolke voller Tropfen sauren Regens bedroht, die nach und nach auf ihn abregnen. Aufgabe der drei bis sieben Teilnehmer ist es, die durchs Geäst perlenden Tropfen aufzusammeln, bevor sie das Wurzelwerk erreichen. Dem Autor ist es auf beeindruckende Weise gelungen, die sonst allein auf ihren Eigennutz bedachten Spieler zu kooperativem Verhalten anzuleiten. Nicht künstlich aufgesetzt, sondern in der Spielmechanik selbst angelegt.
Die weitere Entwicklung
BARBAROSSA UND DIE RÄTSELMEISTER löste mit seiner innovativen Schubkraft eine Flut von Kreativitätsspielen aus, die bis heute nicht verebbt ist, sondern immer wieder einmal ansteigt. Mit DIXIT (Libellud) hat es 2010 sogar erneut ein Vertreter dieses Genres geschafft, als Spiel des Jahres ausgezeichnet zu werden.
Unter dem Titel JUNIOR BARBAROSSA erschien 1992 eine vereinfachte Ausgabe für Kinder ab acht Jahren. Ihr Regelwerk war auf den Kern des Spielgeschehens reduziert und lieferte den kleinen Rätselschülern bildliche Anregungen für ihre Kreationen. 1997 kam im Kosmos Verlag eine Neuausgabe unter dem schlichten Titel BARBAROSSA heraus, die auf maximal sechs Teilnehmer ausgelegt und mit einem runden Spielbrett ausgestattet war. Dieser Titel wurde 2005 für die Version der Catan GmbH in deren Reihe „Klaus Teuber Classics“ beibehalten.
Als Spielmaterial findet Knete derzeit in diversen Kinderspielen Verwendung.
Jochen Corts (April 2013)