Spiel des Jahres 1989: Café International von Rudi Hoffmann
96 Damen und Herren aus zwölf Ländern wollen sich ein Stelldichein geben. Viel zu viele für das kleine Café mit seinen gerade einmal 68 Plätzen. Zudem sind die Tische nach Nationalitäten getrennt. Lediglich die Stühle zwischen zwei Tischen stehen wahlweise Mitgliedern beider benachbarter Nationen zur Verfügung. Obendrein herrscht eine strenge Sitzordnung, sodass nie zwei Damen oder Herren allein an einem Tisch Platz nehmen dürfen.
Für das Platzieren der Gäste gibt es Punkte, und zwar umso mehr, je stärker der Tisch bereits frequentiert ist. Wird einem Gast ein Stuhl zwischen zwei Tischen zugewiesen, werden beide Tische gewertet. Besonders begehrt sind Tische mit zwei Paaren derselben Nation, bringen diese doch die doppelte Punktzahl.
Wer aus seinem zunächst stets auf fünf Kärtchen aufgefüllten Bestand einmal keinen Stuhl besetzen kann oder will, muss einen seiner Gäste an die Bar bitten. Verschafft einem dies anfangs noch ein paar bescheidene Pluspunkte, schlägt die Wertung bald um, sodass man immer tiefer in die Tasche greifen muss, um dort einen Drink zu spendieren.
Ab Mitte der Partie empfiehlt es sich, seinen Kartenbestand durch Komplettierung von Ein-Nationen-Tischen abzubauen. Jedes zuletzt verbliebende Plättchen führt nämlich zu einem Punktabzug, wobei die zuvor noch so gern gezogenen Joker sogar doppelt negativ zu Buche schlagen.
Die Gründe
CAFÉ INTERNATIONAL erfüllt in jeder Beziehung die Ansprüche an ein Familienspiel von dauerhaftem Reiz. Es hat ein hübsches Thema, ist schnell zu begreifen, dauert nicht allzu lange und sorgt mit einer gesunden Mischung aus Glück und taktischen Möglichkeiten bis zuletzt für Heiterkeit und Spannung. Es entfaltet die für ein Legespiel typische angenehm friedliche Atmosphäre, da jeder mehr damit beschäftigt ist, seine Kärtchen optimal abzulegen als den Mitspielern in die Parade zu fahren. All dies hat dazu geführt, dass immerhin acht der neun Juroren das Spiel auf Platz 1 gesetzt haben.
Der Autor
Rudi Hoffmann hat nach seinen Erfolgen als Spielautor in den 1970er Jahren ein großartiges Comeback feiern können. Denn neben CAFÉ INTERNATIONAL war mit MAESTRO noch eine weitere Neuheit aus seiner Feder nominiert worden, beide übrigens von ihm selbst auf parodistische Weise liebevoll illustriert. Hoffmanns Œuvre umfasst rund fünf Dutzend Spiele, die allesamt durch eine heiter-ironische Note geprägt sind und die er gern mit Musikgattungen verglichen hat. Spielautor geworden ist Rudi Hoffmann, um „meine Freude am Unterhalten ausleben“ zu können.
Der Verlag
Der Spielzeugkonzern Mattel hat sich aus einer 1945 in den USA gegründeten Garagenwerkstatt entwickelt. Er ist vor allem durch seine Barbie-Puppen weltweit bekannt. In Deutschland war er überhaupt erst seit 1988 mit Brettspielen am Markt. Trotz des schnellen Erfolgs mit CAFÉ INTERNATIONAL ist er aus diesem Bereich bereits zwei Jahre später wieder ausgestiegen, nachdem die Verkaufszahlen im europäischen Ausland nicht den hohen Erwartungen genügen konnte.
Der Spielejahrgang
Wie schon im Vorjahr hat die Jury für weitere neun Spiele Empfehlungen ausgesprochen. Diese waren erstmals zusammen mit dem späteren Hauptpreisträger vorab auf einer Nominierungsliste bekannt gegeben worden, um zu erreichen, dass in den Medien nicht nur über diesen, sondern über alle genannten Titel gleichermaßen berichtet wird. In alphabetischer Reihenfolge waren dies:
Das Positionsspiel ABALONE von Michel Lalet und Laurent Levi (Abalone) ist von hohem intellektuellem wie auch ästhetischem Reiz. Zwei Gruppen aus weißen und schwarzen Glaskugeln stehen sich auf dem wabenförmigen Spielbrett gegenüber. Bis zu drei Kugeln können gruppenweise bewegt werden, um gegnerische Kugeln vom Brett zu drängen. Da jeder Materialgewinn mit einem Stellungsnachteil erkauft sein will, bleibt der Ausgang oft bis zuletzt in der Schwebe.
DER AUSREISSER von Pierre Jacquot (F.X. Schmid) ist ein Kartenspiel, das ein über mehrere Etappen gehendes Radrennen thematisiert. Während ein Spieler die Geschwindigkeit vorgibt, versuchen die anderen, sich mit ihren Tempokarten zumindest in seinem Windschatten zu halten, um Kraft zu sparen und keine Strafzeiten zu kassieren. Mit einer höheren Tempokarte kann man bei passender Gelegenheit dann selbst die Führung übernehmen.
In Urs Hostettlers Kreativspiel EIN SOLCHES DING (Fata Morgana) erhält jeder Teilnehmer einen Satz Karten mit den unterschiedlichsten Kurzbeschreibungen. Beim Ablegen einer Karte muss man sich ein Ding einfallen lassen, das sämtliche bisher genannten Eigenschaften wenigstens so weit erfüllt, dass die Mehrheit der Mitspieler den nicht selten etwas skurrilen Definitionsversuch doch noch akzeptiert. Kaum zu glauben, was mancher daheim angeblich alles zur Mäusejagd verwendet!
Konzentration und ein gutes Gedächtnis verlangt FLIEG DUMBO FLIEG von Virginia Charves (Schmidt). Jeder versucht, mit seinem Elefanten ständig wechselnde Plätze anzusteuern. Dazu setzt man seinen Stapel aus drei Dumbo-Kärtchen bis zu fünf Felder in Rüsselrichtung vorwärts. Da die oberste Karte anschließend unter den Stapel kommt und dabei ihre Richtung geändert werden darf, heißt es gut aufpassen, um nicht nach der übernächsten Karte eine böse Überraschung zu erleben.
Ein teuflisches Vergnügen bereitet Björn Hölles HEXENTANZ (F.X. Schmid). Auch hier ist wieder Gedächtnis Trumpf. Je nach Teilnehmerzahl schickt jeder bis zu vier Hexen zum Tanz um den Blocksberg. Doch da alle Hexen in ihren schwarzen Umhängen vollkommen gleich aussehen, herrscht bald ein heilloses Durcheinander. Es gewinnt, wer trotzdem den Überblick behält und seine Hexen als Erster an den heimischen Herd zurückführt.
Rudi Hoffmanns MAESTRO (Hans im Glück) ist wie sein CAFÉ INTERNATIONAL ein ruhiges Legespiel. Als Konzertagenten bemühen sich die Spieler, ihre Musiker in möglichst punkteträchtigen Konzerten auftreten zu lassen. Nur solche, denen man einen Exklusivvertrag gegeben hat, können nicht von einem Konkurrenten abgeworben werden, bescheren allerdings besonders viele Minuspunkte, wenn man sie bis zuletzt nicht vermittelt hat.
Wildes Gedränge entsteht auf der von Wolfgang Kramer ausgerichteten MITTERNACHTSPARTY (Ravensburger), sobald Hugo, das Schlossgespenst, erscheint und seine Jagd auf die Partygäste aufnimmt. Dann versuchen nämlich alle, sich in den Räumen rund um die Galerie in Sicherheit zu bringen. Doch da jeder Spieler für mehrere Gäste verantwortlich ist und Hugo dank des launischen Würfels bisweilen Sprinterqualität entwickelt, gibt es oft für viele kein Entrinnen.
Mit POLE POSITION (Piatnik) hat Gerhard Kodys ein Autorennspiel vorgelegt, das vom Start weg für spannende Positionskämpfe sorgt. Simultan ausgespielte Treibstoffkarten bestimmen die Zugweite. Jeder versucht, mit seinen drei Flitzern Felder zu erreichen, die ein schnelleres Vorankommen ermöglichen, und solche zu meiden, die das Gegenteil bewirken. Bei jedem Zug will eingeschätzt werden, was die Konkurrenz vorhaben könnte, um dies konterkarieren zu können.
Kleine Segelboote, die sich auf die Seite legen können, schaffen bei REGATTA von Frank Thibault (Klee) die passende Atmosphäre. Wer im Ziel die Nase vorn haben will, muss mit geschickten Manövern immer hart am Wind segeln. Das ballonartige Vorsegel zu setzen, bringt zusätzliche Fahrt, kostet allerdings auch Zeit, um es später wieder einzuholen. In Acht nehmen muss man sich vor fremden Booten, die einen abdrängen oder einem den Wind aus den Segeln nehmen wollen.
Den Sonderpreis Schönes Spiel hat sich HENNE BERTA von Geni Wyss (Haba) redlich verdient. Es ist von hervorragender, ja geradezu handwerklicher Qualität und zugleich kindgerecht gestaltet. Als Spielplan dient ein massives Holzbrett, illustriert mit einer putzigen Hühnerschar. Henne Berta, selbstverständlich ebenfalls aus Holz, kann tatsächlich ein Ei legen, wenn sie einer der kleinen Spieler mit einer Körnerspur zu sich gelockt hat. Zur Aufbewahrung der Eier gibt es für jeden einen kleinen Henkelkorb aus Stroh.
Aufgrund hochwertiger Ausstattung kann sich auch GUTE FREUNDE (Selecta) sehen lassen, das mit dem erstmals vergebenen Sonderpreis Kinderspiel bedacht worden ist. Ein Spiel von Alex Randolph für die ganz Kleinen ab fünf Jahren, bei dem vier Frösche über einen Parcours aus Seerosenblättern gewürfelt werden, um dabei Gold- und Silbermünzen aufzulesen. Begegnen sich zwei Fröschlein auf einem Blatt, gibt es eine zusätzliche Belohnung. Konkurrenz findet zwar statt, tritt jedoch hinter dem Spaß am Spielverlauf deutlich zurück.
Die weitere Entwicklung
Nach einem kurzen Intermezzo bei Relaxx ist CAFÉ INTERNATIONAL seit 1999 bei Amigo Spiel + Freizeit durchgängig im Programm. 2001 kam dort CAFÉ INTERNATIONAL: DAS KARTENSPIEL dazu. Als Co-Autor Rudi Hoffmanns fungierte Roland Siegers, der seinerzeit als verantwortlicher Redakteur bei Mattel die Brettspielausgabe betreut hatte. 2007, ein Jahr vor Rudi Hoffmanns Tod, haben die beiden dann noch mit CAFÉ INTERNATIONAL JUNIOR eine Version für Kinder ab 6 Jahren vorgelegt.
Jochen Corts (Juni 2014)