Spiel des Jahres 1990: Adel verpflichtet von Klaus Teuber
Die Vernissage im Schloss war wieder einmal ein voller Erfolg. Mit einer solchen Fülle seltener Exponate hatte aber auch eigentlich nichts schiefgehen können, obschon auch die Konkurrenz seit dem vorigen Mal nicht untätig geblieben ist. Ärgerlich nur, dass sich gleich drei Diebe unter die Besucher gemischt haben. Das hat doch ein böses Loch in die schöne Sammlung gerissen. Dass aber auch kein Detektiv zur Stelle gewesen ist, um die Langfinger dingfest zu machen und im Gefängnis abzuliefern!
So ähnlich kann es in einer Partie ADEL VERPFLICHTET zugehen. Ein Spiel, das die Teilnehmer alles Freud und Leid im Leben eines Raritätensammlers nachempfinden lässt. Ständig müssen Entscheidungen getroffen werden, und zwar stets von allen gleichzeitig, sodass man darauf angewiesen ist, die mutmaßlichen Aktionen der Mitspieler zu antizipieren, um sie in die eigenen Pläne einbeziehen zu können.
In jeder Runde will entschieden werden, ob man an einer Auktion teilnehmen oder sich lieber ins Schloss begeben möchte. Da auch die Gebote verdeckt abgegeben werden, kann es einem leicht passieren, zu überzahlen oder aber auch knapp überboten leer auszugehen. Statt zu bieten, besteht allerdings auch die Möglichkeit, den soeben vom Erwerber ausgestellten Scheck durch einen eigenen Dieb stehlen zu lassen, um für spätere Runden wieder flüssig zu sein.
Im Schloss eröffnen sich sogar drei Handlungsalternativen. Entweder man protzt mit einer Ausstellung, um auf der Erfolgsskala vorzurücken, oder macht lange Finger bei den Ausstellern. Doch wehe, ein anderer spielt seine Detektivkarte! Dann wandern alle ertappten Diebe ins Gefängnis, wo sie erst mit fortschreitender Überfüllung nach und nach wieder frei kommen.
Die Gründe
ADEL VERPFLICHTET beeindruckt durch seine nahtlose Verschränkung der einzelnen Spielelemente. Aufgrund der zunächst verdeckt vorgenommenen Simultanzüge baut sich in jeder Runde aufs Neue Spannung auf, die sich sogleich wieder unter großem Hallo entlädt. Dabei brauchen sich die Teilnehmer keinesfalls auf einen Blindflug zu begeben. Vielmehr lassen sich bei aufmerksamer Spielweise aufgrund der Auslage auf dem Spielbrett und der erkennbaren Interessen und Möglichkeiten der Mitspieler durchaus Rückschlüsse auf deren Absichten ziehen. Dass man gleichwohl vor Überraschungen nicht sicher sein kann, macht gerade den Reiz dabei aus.
Der Zugang zum Spiel fällt dem reinen Gelegenheitsspieler nicht ganz leicht. Es erfordert schon ein paar Partien, um alle Feinheiten zu erfassen. Doch wird das Regelwerk durch die klar gegliederte und übersichtlich gestaltete Spielanleitung sehr gut vermittelt. Außerdem finden sich dort einige Tipps für sinnvolles Agieren, die eine erste Orientierung geben und dadurch den Einstieg erleichtern. Der verbleibende Glücksfaktor ist für ein Familienspiel genau richtig dosiert. Da sich alle gleichzeitig Gedanken machen können und die gewählten Aktionen dann nur noch gemeinsam abgewickelt werden müssen, kommt es praktisch zu keinen Wartezeiten.
Wie im Vorjahr haben deshalb immerhin acht der neun Juroren ADEL VERPFLICHTET auf Platz eins gesetzt.
Der Autor
Klaus Teuber war 1988 schon einmal mit seinem Kreativspiel BARBAROSSA UND DIE RÄTSELMEISTER erfolgreich gewesen. Doch damit nicht genug: Bereits 1991 gelang es ihm, mit DRUNTER & DRÜBER erneut den Titel zu erringen. Sein größter Triumph sollte ihm 1995 mit DIE SIEDLER VON CATAN beschieden sein. Damit war sein Potential an kreativen Spielideen keinesfalls erschöpft. Allerdings hat er sich fortan weitestgehend auf die Pflege dieses Jahrhundertspiels konzentriert und dessen Grundprinzip zu einer eigenen Linie ausgebaut.
Der Verlag
F.X. Schmid hat nach 1987, wo man mit AUF ACHSE erstmals ein Spiel des Jahres im Programm hatte, erneut ein gutes Näschen bewiesen. Obwohl 1993 noch ein weiterer Titel dazukommen sollte, geriet das 1880 gegründete Unternehmen Mitte der 90er Jahre in wirtschaftliche Schwierigkeiten, weshalb es 1997 vom Otto Maier Verlag, dem heutigen Ravensburger Spieleverlag, übernommen wurde. Dieser hat sein Bemühen, zumindest das Kürzel FX als Marke für ein junges Zielpublikum zu etablieren, allerdings schon nach wenigen Jahren wieder eingestellt.
Der Spielejahrgang
Die ergänzenden Empfehlungen der Jury beschränkten sich dieses Mal auf acht weitere Spiele. Sie waren wie im Vorjahr zusammen mit dem späteren Hauptpreisträger vorab auf einer Nominierungsliste bekannt gegeben worden, um ihnen in den Medien ebenfalls gebührende Aufmerksamkeit zu verschaffen. In alphabetischer Reihenfolge:
Um DAS GEHEIMNIS DER PYRAMIDE von Stephanie Rohner und Christian Wolf (Jumbo) lüften zu können, müssen sich die Schatzgräber durch eine Reihe von Erdschichten in Form gestapelter Plättchen graben. Solange man dabei auf wertvolle Funde stößt oder neutrale Plättchen aufdeckt, darf die Suche fortgesetzt werden. Erscheint dagegen ein Gefahrenplättchen, gehen alle bisherigen Funde verloren und der Nächste darf sein Glück versuchen. Wohl dem, der beim Auslegen der Erdschichten aufgepasst und sich die Lage einiger Objekte gemerkt hat.
DIE HEISSE SCHLACHT AM KALTEN BUFFET von Alex Randolph (Ravensburger) ist eine Würfelkeilerei, bei der die Post abgeht. Für jede Umrundung des Tisches gibt es einen Happen. Bei gewöhnlicher Hausmannskost lässt man sich gern etwas Zeit und benutzt nur einen Würfel. Bei echten Delikatessen ist dagegen die Versuchung groß, sich noch einen zweiten oder gar dritten Würfel zu schnappen, werden doch die Augenzahlen nicht einfach addiert, sondern ihre Summe mit der Anzahl Würfel multipliziert. Nur darf diese sieben nicht übersteigen. Dann muss man an den Start zurück.
Mit DINO (Hexagames) schickt Reinhold Wittig die Teilnehmer per Zeitmaschine in die Kreidezeit, wo sie Sauriereier sammeln und in unsere Welt hinüberretten sollen. Dabei versperren tapsige Urviecher oft den Weg, und von den verehrten Forscherkollegen darf man alles andere, nur keine Unterstützung erwarten. Für den Ruhm ist es wichtig, möglichst viele Eier verschiedener Arten zu ergattern. Dazu bleibt allerdings nicht viel Zeit, weil sich ein riesiger Meteorit der Erde nähert, dessen Einschlag das Ende der Rettungsaktion markiert.
Seine FAVORITEN hat Walter Müller im Eigenverlag herausgebracht. Je früher die Rennbahnbesucher ihre Wetten platzieren, desto ergiebiger das Punktergebnis, Sieg oder zumindest Platz vorausgesetzt. Zu Beginn jeder Runde kann, wer mag, einen Tipp abgeben. Dann darf der Spieler am Zug alle fünf Pferde eines nach dem anderen gemäß der jeweils geworfenen Augenzahl vorrücken. Es versteht sich, dass man den Favoriten anderer Wetter möglichst niedrige Werte zuordnet, sofern einem die Launen des Würfels nicht zur Gaudi der Konkurrenz das Konzept verderben.
HEUCHEL & MEUCHEL von Rudi Hoffmann (Franckh-Kosmos) ist ein taktisches Legespiel, dessen liebevolle Gestaltung im Stile burgundischer Buchmalerei aus dem Rahmen des Üblichen fällt. Jeder Spieler erhält Kärtchen mit witzig karikierten Figuren, die in einer Rangordnung zueinander stehen, vom Adligen an der Spitze bis zum Feuerschlucker am Ende. Da es auch innerhalb der Stände unterschiedliche Positionen gibt, kommt es ständig zu hinterhältigen Zügen, mit denen jeder möglichst viele rangniedere Karten seiner Gegner an sich zu ziehen trachtet.
In LANCELOT von Roland Siegers (Mattel) tritt jeder Teilnehmer mit 30 Wappensteinen an, die reihum einzeln aufs Spielbrett gebracht und nicht mehr versetzt werden. Wem es gelingt, in einer Reihe oder Spalte über exakt zwei Steine mehr zu verfügen als alle Gegner zusammen, darf deren Steine als Beute kassieren. Während man zu zweit genau absehen kann, was auf einen zukommt, steigt mit wachsender Teilnehmerzahl das Risiko böser Überraschungen. Noch brisanter wird es in der Version für Fortgeschrittene, wo auch auf den Diagonalen geschlagen wird.
Herbert Schützdeller führt mit NEW ORLEANS BIG BAND (ASS) vor Augen, welch große Probleme es bereitet, eine komplette Jazzband aus hochkarätigen Solisten zusammenzustellen. Da will sich einer partout nur gemeinsam mit einem Kumpel engagieren lassen, der wiederum bei anderen auf Ablehnung stößt. Bestimmte Kombinationen steigern oder mindern den Wert der Musiker. Beim Einsammeln der Visitenkarten kommt einem häufig die Konkurrenz in die Quere, sodass man schließlich nicht umhin kommt, sich auf verdeckte Tauschgeschäfte einzulassen.
Ganz auf Kooperation angelegt ist TABAIJANA von Wolfgang Kramer (Herder). Die Teilnehmer versuchen, ihre zu Beginn bunt gemischten Holzkisten durch geschicktes Umstapeln in einer begrenzten Anzahl von Zügen nach Farben zu sortieren. Schwierig gestaltet sich dies dadurch, dass die Zugweite jeweils durch einen Würfel vorgegeben wird, der seiner Natur gemäß nur selten optimale Züge zulässt. Dagegen hilft nur gegenseitige Unterstützung, und auch dann wird es meist ziemlich eng.
Sonderpreise
Der Sonderpreis Schönes Spiel ging an LIFE STYLE aus dem Otto Maier Verlag. In mutiger Abkehr von ausgetretenen Pfaden des Spieldesigns wird dieses anspruchsvolle Kommunikationsspiel für Erwachsene in modernem graphischen Stil präsentiert. Die wuchtige Schachtel ist randvoll mit konsequent durchgestaltetem Material gefüllt. Nicht nur schön anzuschauen, sondern gleichermaßen funktional. Das von einem Ravensburger Redaktionsteam entwickelte Spiel selbst ist ebenso anspruchsvoll wie unterhaltsam, indem es die Teilnehmer in die unterschiedlichsten Lebenssituationen versetzt, in denen sie mit Fingerspitzengefühl Entscheidungen treffen müssen.
Mit dem Sonderpreis Kinderspiel ist DAS GEISTERSCHLOSS ausgezeichnet worden, ein Merkspiel von Virginia Charves, das im selben Verlag wie der Hauptpreisträger erschienen ist. Auf der Suche nach ihrem Schatten wandern zahlreiche Gespenster durchs Gemäuer. Wer sich ihre ständig wechselnden Positionen am besten merken kann, hat gute Aussichten, dem Spuk als erster ein Ende zu bereiten. Thema und Spielmechanik kombinieren auf geschickte Weise zwei Elemente, die kleine Kinder immer wieder faszinieren. Das griffige Material ist aus dickem Karton und dürfte deshalb so manche Gespensterjagd überstehen.
Die weitere Entwicklung
1991 erschien in den USA bei Avalon Hill eine englische Ausgabe von ADEL VERPFLICHTET. Dafür fand nicht nur die Originalgrafik von Cornelia von Seidlein Verwendung, sondern sogar auch der deutsche Titel, der freilich dann doch noch im selben Jahr in BY HOOK OR CROOK mit dem Untertitel „The Great Bluffing Game From Germany“ geändert wurde. Zur gleichen Zeit kam in England bei Gibsons Games eine weitere Ausgabe mit dem Titel FAIR MEANS OR FOUL in gänzlich anderer Optik heraus. Für die 1992 bei G&RRR Swedish Edition als SPIONAGE! erschienene Ausgabe wurde dann obendrein das Thema gewechselt.
Von 2000 bis 2011 war das Spiel bei den Ravensburgern unter ihrem alea-Label im Programm. Zuvor schon hatte man noch bei F.X. Schmid in einer Neuauflage zwei Korrekturen auf den Karten mit den Ausstellungsstücken vorgenommen und „Marilyn Monroes Lippenstift“ von 1963 auf 1962 und die „Sir-Walter-Raleigh-Pfeife“ von 1916 auf 1616 vordatiert, also jeweils auf ein Jahr, als die beiden noch unter den Lebenden geweilt hatten.
2004 brachte Jumbo in den Niederlanden eine Version für zwei bis sechs Teilnehmer mit einer neuen Grafik von Michaela Kienlein heraus. Diesem ADEL VERPFLICHT gelang prompt der Sprung auf die Nominierungsliste zum Nederlandse Spellenprijs. Bemerkenswert erscheint das Bemühen, sich Klaus Teubers Renommee als Autor von DIE SIEDLER VON CATAN durch eine entsprechende Angabe auf dem Cover zunutze zu machen. Diese Version wurde noch im selben Jahr vom US-amerikanischen Verlag Überplay Entertainment übernommen und in HOITY TOITY umbenannt.
Inhaltliche Erweiterungen oder Varianten zu ADEL VERPFLICHTET sind keine erschienen. Quell der Inspiration ist es dagegen sehr wohl geworden, sodass Brettspiele mit Simultanzügen inzwischen ein eigenes Genre bilden.
Jochen Corts (Juni 2015)