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Spiel des Jahres 1995: DIE SIEDLER VON CATAN

Spiel des Jahres 1995: Die Siedler von Catan von Klaus Teuber

Es geht um die Besiedlung einer unbewohnten Insel, deren Teile jedesmal anders ausgelegt werden, was die Teilnehmer vor stets neue Probleme stellt. Aus den an ihre Siedlungen grenzenden Gebieten beziehen die Siedler Rohstoffe, die sie frei untereinander tauschen können. Welche Gebiete jeweils etwas abwerfen, entscheiden für alle zwei gewöhnliche Augenwürfel.

Kombinationen der Rohstoffe ermöglichen den Bau von Straßen, neuen Siedlungen und deren Ausbau zu Städten sowie den Erwerb von Entwicklungskarten. Kriegerische Auseinandersetzungen gehören nicht zum Repertoire. Allerdings kann man lästigen Konkurrenten durch forcierten Straßenbau das Wasser abgraben, was freilich wertvolle Zeit bei der Gründung neuer Siedlungen kostet. Kleine Rohstoffräubereien mithilfe entsprechender Karten sind auch möglich.

Auch wer nicht gerade selbst am Zug ist, nimmt stets voll am Geschehen teil. Sei es, daß er die Tauschgeschäfte der anderen argwöhnisch verfolgt, sei es, daß er darin selbst einbezogen wird. Da sich die erforderlichen zehn Siegpunkte auf unterschiedliche Weise sammeln lassen, kann jeder seine eigene Strategie verfolgen, wobei die Spannung von Runde zu Runde steigt.

Die Gründe

Die Jury hatte keinen Zweifel, dass Klaus Teuber mit DIE SIEDLER VON CATAN einen Meilenstein der Brettspielgeschichte gesetzt hat. Mag auch seinerzeit noch nicht absehbar gewesen sein, dass dieses Spiel binnen weniger Jahre das neue Genre der sogenannten German Games oder inzwischen Eurogames begründen würde, so war doch klar, dass es sich dabei um ein Jahrhundertspiel handelte. Konsequenterweise erhielt es von allen elf Juroren die Höchstpunktzahl, was zuvor noch nie vorgekommen war.

Das Spiel fügt ganz unterschiedliche Elemente zu einem harmonischen Ganzen zusammen. Es fordert dementsprechend die verschiedensten Fähigkeiten und macht die Teilnehmer zu Taktikern, Kommunikatoren und Händlern in einer Person. Dass Fortuna ein Wörtchen mitzureden hat, gehört bei einem Familienspiel dazu, sorgt für Emotionen und entlastet, wenn es einmal gar nicht laufen will. Doch zumeist gleichen sich Würfelglück und -pech im Laufe einer Partie ohnehin wieder aus.

Für das Spielerlebnis prägend ist die angenehme Aufgabe, etwas aufzubauen und dazu in fairen Verhandlungen einen Interessenausgleich mit den Mitspielern zu suchen. Trotz aller Konkurrenz kommt man nicht umhin, immer wieder mit wechselnden Partnern kurzfristig zu kooperieren, um an die für den Bau jeweils benötigten Rohstoffe zu gelangen.

Obwohl das Spiel keine ganz leichte Kost bietet, sollte dank der exzellent konzipierten Anleitung niemand Probleme haben, einen schnellen Einstieg zu finden. Ein großformatiges Blatt aus verstärktem Papier verbindet auf der Vorderseite eine Startaufstellung für Einsteiger mit einer Spielübersicht und enthält rückseitig die gesamte Anleitung in komprimierter Form, die wegen der Details auf einen alphabetisch gegliederten Almanach verweist. Auf diese Weise kann während der Partie zu jeder aufkommenden Frage ohne langes Suchen schnell eine Antwort gefunden werden, und läuft das Spiel aufgrund seiner klaren Struktur nach nur wenigen Runden bereits wie geschmiert.

Der Autor

Klaus Teuber (Bild: Sarah Häuser)

Während der Verlag nach exakt 10 Jahren endlich einmal wieder den Hauptpreis hat erringen können, scheint der Autor des Spiels darauf fast schon abonniert zu sein. Nach BARBAROSSA UND DIE RÄTSELMEISTER (1988), ADEL VERPFLICHTET (1990) und DRUNTER & DRÜBER (1991) hat Klaus Teuber jetzt bereits zum vierten Mal sein Ausnahmetalent unter Beweis gestellt. Eine Art Spiele-Grisham, dessen Werke sich durch stimmige Themen, elegante Mechanismen und andauernde Spannung auszeichnen. Und der sich Zeit für seine Entwicklungen lässt und sie erst dann zur Veröffentlichung freigibt, wenn jedes Detail stimmt und alles rund läuft.

Teuber auf der Preisverleihung 1995

In seiner dieser Tage bei Langen Müller erschienenen Autobiographie „Mein Weg nach Catan“ schildert Teuber auf 304 Seiten seinen Werdegang als Autor, die Bedeutung von CATAN für sein weiteres Leben und wie aus einer Idee eine Weltmarke geworden ist. Nebenbei gewährt er auf angenehm bescheidene Weise tiefe Einblicke in sein Privatleben und die beruflichen Widrigkeiten, mit denen er sich als Inhaber eines zahntechnischen Labors viele Jahre lang hat herumschlagen müssen und von denen er sich abends, wenn die Kinder im Bett waren, noch eine halbe Stunde in seinem Refugium im Keller seines Reihenhauses beim Entwickeln neuer Spiele erholen konnte.

Der Verlag

1985 hatte das Unternehmen als Franckh’sche Verlagsbuchhandlung mit SHERLOCK HOLMES CRIMINAL-CABINET, einem frühen Vorläufer der heute so beliebten kooperativen Detektivspiele, erstmals triumphieren dürfen. Ein Triumph, der getrost als Initialzündung für ein dauerhaftes Engagement als Spielverlag angesehen werden darf. In der Folgezeit wurde das Programm des nunmehr als Franckh-Kosmos Verlags-GmbH & Co. KG firmierenden Unternehmens unter dem Label Kosmos kontinuierlich ausgebaut. Doch erst CATAN sollte es zu dem großen Medienhaus machen, das es heute ist.

Der Spielejahrgang

Acht weitere Neuerscheinungen hat die Jury auf ihre den Hauptpreis flankierende Empfehlungsliste in alphabetischer Reihenfolge genommen. Obgleich auch diese aufgrund von Originalität und hohem Unterhaltungswert aus der Masse herausragen, gegen Teubers Jahrhundertspiel waren sie alle chancenlos und haben nicht einmal zusammen so viele Punkte erzielt wie dieses allein.

Das Wortratespiel BUZZLE von Bill Eberle, Jack Kittredge und Peter Olotka (franjos) stellt eine ungemein reizvolle intellektuelle Aufgabe. Durch Abfragen von Buchstabenteilen gilt es, die von den Mitspielern zuvor geheim notierten Begriffe herauszufinden. Hier sind Phantasie, Intuition und taktisches Geschick gleichermaßen gefordert. Wer erfolgreich rät, darf mit seinem Zählstein die Anzahl der dazu nicht benötigten Buchstabenteile vorrücken. Ein Fehlversuch wirft dagegen entsprechend weit zurück und liefert der Konkurrenz zudem noch wertvolle Hinweise.

Ins Zeitalter der Renaissance führt CONDOTTIERE von Dominique Erhard und Duccio Vitale (Eurogames). Bis zu sechs Teilnehmer ziehen als Anführer von Söldnerheeren aus, um eine bestimmte Anzahl italienischer Kleinstaaten zu erobern. Völlig unblutig dienen dazu stilvoll gestaltete Karten, die nach und nach ausgespielt werden und die unterschiedlichsten Effekte auslösen, bis alle bis auf einen ausgestiegen sind, der damit aber nicht unbedingt auch der erfolgreiche Eroberer sein muss. Nie ist man vor Überraschungen sicher, und was in der einen Konstellation goldrichtig war, kann sich beim nächsten Mal als böser Fehler erweisen. Ein atmosphärisch dichtes Spiel voll Tempo und Finessen.

DIE MAULWURF-COMPANY von Bertram Kaes nach einer Idee von Virginia Charves (Ravensburger) läßt sich in keine gängige Kategorie einordnen. Es handelt sich um einen Ausscheidungswettbewerb, ähnlich der auf Kindergeburtstagen so beliebten „Reise nach Jerusalem“. Schicht um Schicht graben sich die Mannschaften in die Tiefe. Maulwürfe, die am Ende einer Runde kein freies Loch erwischt haben, sind aus dem Rennen. Nur einer kann bis ganz unten durchkommen, wo ihn eine Goldene Schaufel als Belohnung erwartet. Genau das Richtige für die ganze Familie.

Mit GALOPP ROYAL aus dem Verlag Goldsieber Spiele war gleich noch ein zweiter Teuber in die engere Wahl gekommen. Eine lockerer Würfelwettlauf, bei weitem nicht so anspruchsvoll wie das Siegerspiel. Und doch verrät die Art, wie die Ersteigerung von jeweils vier Sänftenträgern organisiert ist, die Handschrift des Könners. Keiner weiß genau, woran er ist, und jeder versucht zugleich, die anderen hereinzulegen. Nach jedem Rennen ist man gezwungen, einen Ersatzmann anzuheuern, der aber vielleicht auch etwas mehr Schwung ins Team zu bringen vermag oder zumindest nicht sooft ins Stolpern kommt.

Einen guten Blick für Details und Einfallsreichtum bei ihrer Bezeichnung verlangt KALEIDOS (eg-Spiele), das ein Team um Spartaco Albertarelli entwickelt hat. Zu einem vor jeder Runde neu bestimmten Anfangsbuchstaben müssen auf einem Wimmelbild passende Objekte entdeckt und schnell notiert werden. Da kann ein Eisbär je nach Bedarf auch als schlichter Bär oder Pelztier durchgehen. Bei einem Lama interessieren auch die Lippen, und ein winziges Stück Himmel liefert das gewünschte Blau. Während Mehrfachnennungen nur einen Punkt bringen, werden exklusiv gefundene Begriffe mit fünf Punkten belohnt. Ein großes Vergnügen ohne langes Regelstudium.

Als faszinierende Mischung aus Schach und Dame erweist sich Richard Morgans LA-TREL (ASS). Während die Figuren wie Offiziere beim Schach gezogen werden, schlagen sie ihre Gegner wie Damesteine durch Überspringen. Da auch Mehrfachsprünge erlaubt sind, kann ein Stellungsfehler zu katastrophalen Verlusten führen. Schachliches Denken sollte man sich schnell abschminken, weil es kaum weiterhilft. Deshalb können gerade auch Menschen mit einer Schachphobie an diesem fesselnden Strategiespiel Gefallen finden.

Mit LINIE 1 von Stefan Dorra hatte der Goldsieber Verlag noch ein zweites Eisen im Feuer. Es gliedert sich in zwei Phasen. Zunächst verlegen die Teilnehmer gemeinsam ein Straßenbahnnetz. Dabei ist jeder bemüht, seine Start- und Zielstationen ohne allzu große Umwege miteinander zu verbinden und zugleich ein paar vorgeschriebene Gebäude anzusteuern. Sobald ein Spieler fertig ist, kann er seine Bahn losfahren lassen. Selbst zwei oder drei Runden Vorsprung garantieren aber keinesfalls den Sieg, da die anderen ja kürzere Strecken gelegt haben können.

MEDICI von Reiner Knizia aus dem Verlag Amigo Spiel + Freizeit ist ein raffiniertes Versteigerungsspiel mit feinsinnig abgestimmten Mechanismen. Da die Spieler bis zu drei Warenkarten gleichzeitig zur Versteigerung bringen können, niemand aber in einer Runde mehr als fünf Karten insgesamt erwerben darf, sieht man sich schnell unangenehmen Sachzwängen ausgesetzt. Daß die Karten bei der Abrechnung am Rundenende einmal nach ihrem Wert, ein andermal dagegen nach ihrer Anzahl pro Warenart zu Buche schlagen, eröffnet noch zusätzlichen Spielraum für taktische Winkelzüge bei den Kaufentscheidungen.

Sonderpreise

Der Sonderpreis Kinderspiel ging an KARAMBOLAGE von Heinz Meister (Haba). Bei diesem billardähnlichen Geschicklichkeitsspiel sind auch mitspielende Erwachsene voll gefordert, wenn sie mit ihrem flachen Spielstein durch ruckartiges Spannen einer Schnur einen anderen Stein treffen wollen. Ist das Ziel durch weitere Steine verdeckt, kann man versuchen, es mithilfe eines passend ausgerichteten Holzklötzchens über Bande zu treffen, was mit etwas Übung auch immer wieder einmal gelingt. Wer mehr als nur einen Punkt mitnehmen möchte, kann weitermachen, läuft allerdings Gefahr, im Falle eines Fehlversuchs alle bislang gesammelten Punkte zu verlieren. Eine hübsche Idee, die auch materialmäßig überzeugend umgesetzt ist. Erstaunlich, mit welch einfachen Mitteln sich ein derart großer Spielspaß erzeugen lässt.

Als Schönes Spiel wurde Michael Sohres TRI-BA-LANCE (THETA-promotion) ausgezeichnet. Als Spielfläche dient eine dreieckiges Platte, die nur an ihrem Mittelpunkt aufliegt und durch geschicktes Setzen unterschiedlich schwerer Steine halbwegs im Gleichgewicht gehalten werden will. Je schwerer die Steine und je weiter außen man sie platzieren kann, ohne dass eine Ecke der Platte danach den Untergrund berührt, desto mehr Punkte gibt es zur Belohnung. Stapeln ist nicht erlaubt, sodass es passieren kann, dass sich nicht alle Steine unterbringen lassen und der Wert der übrig gebliebenen negativ zu Buche schlägt. Spielerisch ungemein reizvoll und zugleich optisch von unwiderstehlichem Aufforderungscharakter.

Mit dem Sonderpreis Puzzle hat die Jury eine besondere verlegerische Leistung des Verlags Milton Bradley/Hasbro gewürdigt. Der 3D KRIMI: HOTEL WER WAR’S nach einer Idee von Don Scott vereint das intellektuelle Vergnügen an der Lösung eines Kriminalrätsels mit der ästhetischen Befriedigung beim Zusammenfügen der Teile eines Puzzles, das hier obendrein dreidimensional angelegt ist. 504 Teile wollen entlang der Außenseiten der Schachtel zur Fensterfront eines vielgeschossigen Hotels verbaut werden. Da alle Fenster gleich groß sind und überall passen, muss anhand von Sprechblasen der Anwesenden, Zimmernummern und Gestaltung der Räume ermittelt werden, wohin sie richtigerweise gehören. Erst dann lässt sich aus der Gesamtansicht des Gebäudes in Sherlock-Holmes-Manier der Täter überführen.

Die weitere Entwicklung

Klaus Teubers Spiel sollte sich im Laufe der Jahre zu einem Welthit entwickeln. In über 70 Ländern veröffentlicht, hat es sich inzwischen zusammen mit seinen Erweiterungen, Szenarien, Varianten und Sondereditionen rund 27 Millionen Mal verkauft. Zum klassischen Brettspiel haben sich Kartenspiele, Computerspiele und Apps gesellt. Der ursprüngliche Titel wurde 2015 im Interesse eines einheitlichen internationalen Auftritts zu CATAN reduziert.

Einem der derzeit stärksten Trends folgend, wurde voriges Jahr in Frankfurt am Main ein CATAN Escape Room eröffnet. Um den dortigen „Überfall der Barbaren“ erfolgreich abzuwehren, bedarf es allerdings keiner Kenntnisse der Regeln des Brettspiels. Vielmehr ist genretypisch von allen Anwesenden echter Teamgeist gefragt, sollen die Aufgaben in maximal einer Stunde gelöst werden.

Die Ausnahmestellung des Spiels unterstreicht schließlich, dass bereits 2003 ein fast 800-seitiger Roman von Rebecca Gablé unter seinem ursprünglichen vollständigen Titel erschienen ist, den die auf historische Themen spezialisierte Bestsellerautorin in enger Abstimmung mit seinem Autor verfasst hat.

Jochen Corts (April 2020)