Spieleautoren-Stipendium 2014/15: Praktikumsbericht von Janosh Kozák
Deutsches Spielearchiv Nürnberg
Pünktlich zum Beginn der Adventszeit im Dezember 2014 begann ich mein einwöchiges Praktikum beim Deutschen Spielearchiv Nürnberg. Da ich weder die Stadt, noch die Arbeit und das Tätigkeitsfeld des Archivs kannte, blickte ich dem ganzen Unterfangen mit großer Vorfreude entgegen.
Am ersten Tag meines Praktikums lernte ich die drei Mitarbeiter des Archivs kennen und bekam einen ersten Überblick. Allerdings herrschte bereits Vorbereitungsstress für das an den kommenden zwei Tagen stattfindende Zusammenkommen der „Who is Who“ der Spielesammler- und Archiv-Szene Deutschlands und Österreichs.
Die Bedeutung dieses, man könnte schon sagen, historischen Ereignisses ist mir erst im Nachhinein bewusst geworden. Es war ein erstes Treffen der sowohl größten Spielesammler und Archive, als auch Spielsachverständigen, unter anderem Bernward Thole, Gründer des deutschen Spielearchivs, und Tristan Schwennsen, Verlagsarchivar von Ravensburger.
Das Ziel dieser Veranstaltung war der gemeinsame Wissensaustausch über das Archivieren und den Erhalt von Spielen. Nach zwei Tagen voller Diskussion, Austausch und Definition eines gemeinsamen Leitfadens wurde mir die Aufgabe des deutschen Spielearchivs sehr deutlich. Ich erfuhr, dass es bis dato noch keine staatliche Instanz gegeben hatte, die sich mit der Sicherung und Bewahrung des Spiels als Kulturgut auseinandergesetzt hatte.
Das gesamte Wissen über Spiele, welches in meinen Augen eine Selbstverständlichkeit gewesen war, lag und liegt in den Händen privater Sammler und Archive. Ein Verlust dieses Wissens, wie es bei diversen anderen Sammlungen bereits vorgekommen ist, wäre eine Tragödie für jeden Spieleliebhaber.
In den folgenden Tagen wurde ich dann auch in die eigentliche Arbeit des Archivs eingebunden. Diese erwies sich als akribische Marathon-Aufgabe: zum einen war dort der bereits vorhandene Bestand von ca. 30 000 Spielen, welche auf eine digitale Nachkatalogisierung warteten, und zum anderen sämtliche Neuveröffentlichen, die jährlich auf den deutschen Markt kommen. Als ich hörte, dass es sich dabei um 500 bis 900 neue Spiele jährlich handelt, fragte ich mich schon, wer denn all diese Spiele spielen soll.
Somit war ich den Rest der Zeit damit beschäftigt, Spiele zu fotografieren, Spielregeln zu scannen und Wagenladungen von Spielekartons in Regale einzuordnen. Das Highlight dieser Arbeit stellte die Erfassung des persönlichen Nachlasses von Alexander Randolph dar. Er hatte dem Archiv alle Prototypen hinterlassen, welche er im Laufe seines Lebens gebaut hatte.
Jetzt nach dem Praktikum freue ich mich bereits darauf, dass das Spielearchiv irgendwann seine Datenbank der Öffentlichkeit zugänglich macht, und somit alle Interessierten auf dieses Wissen zurückgreifen können.
Ravensburger Spieleverlag
Als zweite Praktikumsstation stand in der zweiten Märzwoche 2015 der Ravensburger Spieleverlag auf dem Plan.
Der Stellenwert des Verlages ist allein schon daran zu erkennen, dass die namensgebende Stadt nur auf Platz zwei rangiert, wenn es darum geht, was die Menschen mit dem Namen Ravensburg verbinden.
Über die Bedeutung des Verlages und die Qualitäten, die die Stadt neben ihrer Funktion als Standortfaktor besitzt, durfte ich in einer spannenden Woche vieles lernen.
Am Montagmorgen kam ich in Ravensburg am Bahnhof an und machte mich direkt auf den Weg zum Verlag. Nach kurzer Zeit fand ich mich im doch sehr imposanten Foyer des Verlagsgebäudes wieder, wo ich von Annette empfangen wurde. Sie hatte ich bereits auf dem Autorentreffen in Göttingen kennengelernt.
Nach einer kurzen Vorstellungsrunde in der Redaktion der Abteilung Familienspiele, wo ich den Großteil der Woche verbringen durfte, wurde ich direkt an die Designabteilung weitergeleitet. Ich merkte schnell, dass ein straffer Zeitplan für mich geschrieben worden war, aber ich war ja schließlich nicht zum Spaß hier.
Gemeinsam mit einigen neuen Mitarbeitern und Mitpraktikanten des Verlags wurde ich von Tom Ring, dem Leiter der Abteilung, in die Grundlagen und den Prozess der Spielgestaltung eingeführt. Da ich ja auch selber aus einem ähnlichen Bereich komme, hatte ich mich auf diesen Abschnitt besonders gefreut. Die Realität der Gestaltung, mit welcher man im Studium nicht konfrontiert wird, war sehr aufschlussreich, zum Teil aber auch ernüchternd.
Nach diesem Vormittagsintermezzo wurde ich mit dem inoffiziellen Herz des Verlags bekannt gemacht: Die Kantine sollte mein täglicher Anlaufpunkt werden. Den richtigen Zeitpunkt zu finden, um dort aufzuschlagen, bevor man sich ganz am Ende der Schlange einreihen muss, stellte sich allerdings als ziemlich schwierig heraus.
Am Nachmittag hatte ich dann etwas mehr Zeit, um mich in der Spieleredaktion einzuleben, die unter der Leitung von Philipp Sprick steht. Neben den SmartPLAY-Spielen, für deren Feinschliff in der Redaktion die meiste Arbeit investiert wurde, war es das Testen von Prototypen, das zum täglichen Arbeitsablauf gehörte und mir persönlich am meisten Freude bereitete. Die anschließenden Diskussionen über die Qualitäten der einzelnen Prototypen sowie die Kriterien für eine mögliche Veröffentlichung waren natürlich besonders interessant.
Nach meinem ersten Arbeitstag machte ich mich dann auf den Weg in die Jugendherberge, die für diese Woche meine Unterkunft und Ausgangspunkt für die eine oder andere Stadttour sein sollte. Die Lage der Herberge auf einem der höchsten Punkte in Ravensburg machte meinen Aufenthalt in der Stadt zu einer besonderen Erfahrung.
In den nächsten Tagen lernte ich dann den Arbeitsrhythmus immer besserer kennen und konnte mich produktiv in das Geschehen einbringen. Darüber hinaus standen noch kleinere Ausflüge in die anderen Abteilungen des Verlags an. Ich durfte einen Blick in die Kinderspielabteilung werfen und lernte das audiodigitale Lernsystem tiptoi kennen, von dem ich bis dato noch nie etwas gehört hatte. Eine meiner letzten Stationen war Wolfgang, der mich mit der Firmenphilosophie vertraut machte.
Mein einwöchiger Einblick hat mir die Realität der Spiele-Industrie näher gebracht. Es war schön zu sehen, dass das Spiel nicht nur Produkt ist, sondern von den einzelnen Mitarbeitern des Verlags gelebt wird. Spätestens die gemeinsame Mittagspause, die statt zum Essen zum Tischtennisspiel genutzt wurde, machte mir das noch einmal deutlich.
Bei Spieleautor Jens-Peter Schliemann
Direkt nach meinem einwöchigen Einblick in die Ravensburger Spieleschmiede ging es zurück zur Wurzel des Spieleschaffens: Ich durfte eine Woche in die Arbeit des Spieleautors Jens-Peter Schliemann hineinschnuppern.
Als einer der wenigen hauptberuflichen Spieleautoren in Deutschland arbeitet er in und aus Köln mit dem Fokus auf Kooperationsproduktionen.
Am Montag trafen wir uns am Ebertplatz in Köln zum Mittagessen, um erst einmal etwas in Spielstimmung zu kommen und das Eis zu brechen. Anschließend präsentierten wir uns einige Stunden lang gegenseitig Prototypen. Dabei überreichte mir Jens-Peter ein Exemplar seines Spiels TALO. Dieses Spiel sollte im Laufe des Tages noch eine große Rolle spielen, da wir am Abend eine Verabredung mit Jens-Peters Mitentwicklern Bernd Poloczek und Uta Krüger hatten.
Gemeinsam war das Trio gerade mit der Nachfolgeversion beschäftigt. Das Spannende an diesem Abend war, dass das Spiel aus einem konkreten Mangel an anschaulichem Lernmaterial für Kinder entstanden war und die beiden Pädagogen kurzerhand die Initiative ergriffen hatten, das Problem zu lösen.
Das Produkt dieser Arbeit bestätigte meine persönliche Haltung zum Brettspiel, dass die treibende Kraft beim Spieleerfinden mehr sein kann oder vielleicht sogar sein muss als die bloße Lust, ein Spiel zu erfinden. Freunde in Köln, mit denen ich das Spiel in den kommenden Tagen noch einmal anspielte, teilten meinen Enthusiasmus.
Am nächsten Tag stand ein Treffen mit Ulrich Blum an: auch er ein ansässiger Spieleautor, zudem ehemaliger Stipendiat des Vereins Spiel des Jahres sowie von 2013 bis 2015 Vorsitzender der Spieleautorenzunft. Bei mir machte sich allmählich das Gefühl breit, im Silicon Valley der Spieleautoren gelandet zu sein.
Das Spiel, an dem Jens-Peter und Ulrich gerade arbeiteten, war in seiner Entwicklung noch einige Stufen vor dem Stand von TALO, weswegen der Leser an dieser Stelle leider auf Einzelheiten verzichten muss. Nur so viel sei gesagt: Ich konnte an diesem Abend gut schlafen!
Den Rest der Woche standen weitere Treffen mit den Kooperationspartnern Dorothee Freitag und Andreas Becker in einem wahnsinnig schönen Atelier am Rhein, mit Schliemanns langjährigen Partner Bernhard Weber, mit dem Jens-Peter bis jetzt die größten Erfolge feiern konnte, sowie der Verlegerin und Spieleautorin Tina Schuster von Haptikon an.
Das gewaltige Reise-, Rede- und Spielpensum, das ich mit Jens-Peter in dieser Woche absolvierte und das ehrlich gesagt den Großteil meiner Kräfte in Anspruch nahm, war die konzentrierte Zusammenfassung seiner Arbeit und, wie er mir auch versicherte, nicht mit seinem üblichen Arbeitsalltag zu vergleichen. Neben dem aktiven Denk- und Entwicklungsprozess gehört schließlich auch immer die Übertragung der Gedanken in Spielmaterial zur Arbeit eines Spieleautors. Und natürlich Testen, Testen, Testen.
Ich finde den Ansatz, Spiele in wechselnden Teams zu entwickeln, sehr spannend. Jeder, der bereits ein Spiel kreiert hat, weiß, dass es ohne eine gute Testrunde nahezu unmöglich ist, die Entwicklung eines Prototypen voranzutreiben. – Denn was wäre ein Gesellschaftsspiel ohne die Gesellschaft?
Spieleburg Göttingen
Am 21. September 2015 startete ich in mein viertes und letztes Praktikum. Diesmal war der Einzelhandel das Ziel, genauer gesagt die Spieleburg in Göttingen.
Die Spieleburg ist eine dieser wenigen verbliebenen Spieleoasen, die nicht nur das Absetzen von Spielen, sondern auch das Anziehen von Spielern im Fokus haben. Betrieben wird das Ganze von Arne Soltendieck seit nunmehr fast 20 Jahren.
Welche Rolle solch ein Laden (gerade in der Zeit von Amazon und anderen Versandhändlern) in der Spielebranche spielt, sollte ich in der kommenden Woche herausfinden.
Nach meiner Einführung wurde ich an Konstantin, den zweiten Azubi im Laden, abkommandiert. Er führte mich in die grundlegenden Arbeiten im Laden wie den Verkauf und das Einordnen der Ware ein und zeigte mir, wo der Vorrat von leicht überdosierten koffeinhaltigen Getränken in der „Halb-Liter-Ausführung“ zu finden war. Den nach meinem Empfinden etwas übertriebenen Konsum dieser Substanz seitens der Mitarbeiter eignete ich mir schnell an.
Nun konnte es richtig losgehen! Zu diesem Zeitpunkt herrschte im Laden bereits eine gewisse Betriebsamkeit, da es die letzten zwei Wochen vor der Spielemesse in Essen waren. Die meiste Zeit verbrachten wir folglich damit, die Ware anzunehmen, zu katalogisieren, zusammen mit Bestandsware auf Paletten umzuschichten und nochmals auf eine Liste zu setzen. So ungefähr stellte ich mir die Arbeit der vorher bereits erwähnten Versandhändler vor.
Dass der Einzelhandel aber mehr zu bieten hatte, durfte ich am nächsten Abend erfahren. Dann war nämlich offener Spieleabend in der Spieleburg. Neben den Jugendlichen, die sich nach der Schule die Räumlichkeiten des Ladens aneigneten (zu diesen unwirtschaftlichen, aber geduldeten Gästen haben wir wahrscheinlich alle einmal gehört), strömten Spieler aus allen Generationen nach Ladenschluss in das Geschäft und bevölkerten die Tische. Welchem Spiel wir den Abend gewidmet haben, lasse ich an dieser Stelle aus, um keine Schleichwerbung zu machen.
Auch die darauf folgenden Abende verbrachte ich mit – wer hätte es erwartet – Gesellschaftsspielen, zu denen ich von den Kunden der Spieleburg eingeladen wurde.
Aber ich war ja nicht nur zum Spaß in Göttingen, sondern wollte auch etwas über die letzte Station auf der Reise eines Gesellschaftsspiels lernen, bevor dieses letztlich beim Spieler landet.
Arne erläuterte mir also sowohl seine Rolle als auch die des Versandhändlers und den Unterschied, der letztendlich uns als Endabnehmer betrifft.
Dieser besteht ganz simpel in der Menge der Spiele, die die beiden unterschiedlichen Vertriebsformen im Jahr umsetzen. Beschränkt sich der Einzugsbereich der Spieleburg auf Göttingen und Umgebung, so ist der von Amazon deutschlandweit und darüber hinaus gespannt. Durch die erheblich höhere Menge an Spielen, die dieser Vertriebsweg umsetzt, ist es möglich, günstigere Preise anzubieten, was uns als Kunde letztlich zu Gute kommt.
Meine Frage war also: Wie kann man denn damit konkurrieren? Arne sagte mir, dass man diese Kette noch etwas weiter denken müsse. Dadurch dass einige Verlage durch das Verschwinden des Einzelhandels immer mehr an Großabnehmer und an immer günstigere Preise gebunden werden, sänke auch die Qualität des Produkts. Es gilt also auch hier: Masse oder Klasse? Und die Entscheidung liegt, wie sonst auch, bei uns als Verbraucher.
Die Anzahl der Kunden, die uns täglich in Bewegung hielt, hat mir auf jeden Fall gezeigt , dass der Fachhandel kein Auslaufmodell ist, und ich bin froh, diesen Einblick bekommen zu haben.